SCHMERZEN BIS ZUM SCHEIDENKRAMPF
Veronika Schmidt
“Ein bisschen wehtun muss es”,
hatte die selbsternannte christliche Sexualberaterin meiner Klientin gesagt, als diese ihren Lustfrust wegen Schmerzen beim Sex beklagte. Diese Episode ist bezeichnend für den Umgang mit Sexualität in der christlichen Lebenswelt. Fehlende Kultur der Lust und wenig Ahnung, wie Sex funktioniert, aber geprägt von eigentümlichen Mythen rund um Sex. Oder wie kommen Christenmenschen auf die Idee, Sex müsse wehtun?
Eine amerikanische Studie hat sich mit diesem Phänomen befasst und dazu ein Buch veröffentlicht: “THE GREAT SEX RESCUE: The Lies You've Been Taught and How to Recover What God Intended”. In diesem Buch fragt Sheila Wray Gregoire: Was ist, wenn es nicht deine Schuld ist, dass der Sex in deiner Ehe schlecht ist? Was, wenn es die problematischen religiösen Lehren sind, die den Sex so vieler Paare ruinieren? Einer dieser Lehren ist die Purity Culture, sexuelle Enthaltsamkeit bis zur Ehe. Diese umfasst eine ganz eigene Subkultur, die sich auf die Aufrechterhaltung der "sexuellen Reinheit" konzentriert und sich sexueller Aufklärung mehrheitlich verweigert.
Aufgrund einer Umfrage unter 22.000 christlichen Frauen untersuchte The Great Sex Rescue, weshalb manche Ehen guten Sex haben und bei anderen Paaren der Sex aus Frust in kürzester Zeit im Sand verläuft. Seit Generationen wird gläubigen Menschen (vor allem Frauen) das Gefühl gegeben, das Sex etwas Schmutziges sei. Weshalb bei ihnen die Scham- und Schuldgefühl-Alarmglocken losgehen, sobald sie berührt werden oder Erregung verspüren.
Und was macht der Körper? Er geht in Abwehrstellung und verkrampft sich, vor allem der Beckenboden. Ein verkrampfter Körper aber kann weder Lust empfinden noch geniessen, er fühlt vor allem Schmerz. Bei manchen Frauen verkrampft sich der Beckenboden so stark, dass Geschlechtsverkehr überhaupt nicht möglich ist. Die Diagnose: Vaginismus (Scheidenkrampf). Von Vaginismus spricht man, wenn sich die Beckenbodenmuskulatur unwillkürlich verkrampft, sobald etwas eingeführt werden soll. Penetrativer Sex wird unmöglich, auch gynäkologische Untersuchungen oder der Gebrauch von Tampons werden zur Tortur: “Als ob jemand ein Messer in mich rammen würde”, beschreiben Frauen jeden Versuch. Betroffene fühlen sich minderwertig, weil sie das vermeintlich Natürlichste der Welt nicht hinkriegen.
Neben der Vorstellung, dass Schmerzen beim Sex dazugehören, führt auch die Vorstellung von “Sexpflicht” zu übermässigen körperlichen Abwehrreaktionen. Eine Frau, die seit zwanzig Jahren unter ihrem Sexfrust leidet, erzählte mir unter Tränen, dass ihre Mutter ihr erst durch die Jugendzeit hindurch die Hölle heiss machte, ja keinen Sex vor der Ehe zu haben. Um ihr dann am Vorabend der Hochzeit einzubläuen, nun müsse sie jederzeit Sex mit ihrem Mann haben und dürfe sich nicht entziehen.
In The Great Sex Rescue ist zu lesen, dass 40 Prozent der freikirchlichen Frauen, welche heiraten, glauben, sie wären verpflichtet, mit ihrem Mann zu schlafen, wenn er das möchte. Dieses Gefühl der Sexpflicht führt dazu, dass Vaginismus bei gläubigen Frauen 1,8mal mehr vorkommt, als üblich. Seit 50 Jahren weiss man, dass konservativ religiöse Frauen eine zweimal höhere Wahrscheinlichkeit haben, Schmerzen beim Sex zu empfinden. Der Grund steht im Buch: “Frauen zu sagen, sie wären zu Sex verpflichtet und sie könnten nicht NEIN sagen, interpretieren ihre Körper als traumatisch - weil es auch so ist.”
Die Sexualtherapeutin Karoline Bischof vom Zürcher Institut für klinische Sexologie und Sexualtherapie ZISMED (meine Ausbildnerin 😏) sagt in einem aktuellen Interview im Tages-Anzeiger, sie beobachte, dass dem Vaginismus ein gestörtes Verhältnis zum eigenen Körper zugrunde liege. Deutlich häufiger betroffen seien Frauen aus sehr konservativen oder religiösen Kulturkreisen, in denen Sexualität unterdrückt werde und Selbstbefriedigung tabu sei.
“Es ist ein körperlicher Abwehrreflex auf ein psychisches Leiden. Nur in den seltensten Fällen haben die Schmerzen eine physische Ursache, zum Beispiel Missbildungen der Vagina oder hormonelle Umstellungen. Meist ist Vaginismus mit angstvollen Vorstellungen verbunden. Der Beckenboden ist ein «Angstmuskel»: Er zieht sich instinktiv zusammen, wenn wir erschrecken, etwa wenn eine Tür zuknallt. Nach dem gleichen Muster kann er sich nach einem emotionalen Trauma verkrampfen, etwa einem sexuellen Missbrauch oder einer sehr schmerzvollen Geburt.”
Sexualtherapeutin Karoline Bischof
Viele betroffene Frauen glauben laut Bischof zudem fälschlicherweise, ihre Vagina sei zu eng. Eine weitere Ursache für Vaginismus könne eine übersteigerte Angst vor einer Schwangerschaft sein. Hinzu komme, dass Weiblichkeit noch immer stark mit Schmerzen assoziiert werde. “Menstruation, erstes Mal, Gebären – Frausein tut weh. Diesen Mythos haben viele verinnerlicht”, sagt Bischof. Doch auch die sexuelle Lerngeschichte eines Kindes sei prägend und beginne bereits am Wickeltisch: “Wenn Mütter und Vätern ihren Babys signalisieren, ‘es ist nicht gut, wenn man sich da unten anfasst’, setzt das bereits eine erste Hemmschwelle”. Oft existiere in der Familie auch kein Wort für das weibliche Geschlecht. “Dann wird die Vagina für Mädchen zu einem unbekannten Ort, den sie nicht erkunden können.”
Die gute Nachricht ist, Vaginismus ist gut behandelbar. “Das Ziel einer Therapie ist, dass die Frauen selbst entscheiden können, ob sie jemanden in ihre Vagina hineinlassen”, sagt Karoline Bischof. Mittels Beckenboden-Übungen – bewusstes Anspannen und Lösen – kann Frau lernen, die Kontrolle über diesen Muskel zu erlangen und durch die Atmung ihr Nervensystem und somit ihre Angst zu regulieren. Und sie kann sich durch Selbstberührungen und Selbststimulation ihren Körper liebe- und lustvoll aneignen.
Verschiedene Bücher von mir helfen zur Selbsterkundung und ermöglichen einen lustvollen Lernweg zur schmerzfreien Lust. Die Illustrationen in diesem Beitrag stammen aus dem neuen Aufklärungsbuch für Teenies “SEX - ALLES, WAS DICH INTERESSIERT”. “LIEBESLUST” ist das Aufklärungsbuch für Erwachsene mit biblischem Bezug. Verheirateten Menschen empfehle ich das Buch “ALLTAGSLUST”. Darin befinden sich praktische Übungen und Tipps für ein besseres Sexleben, wie Anleitungen für Beckenbodenübungen und lustvolle Stimulation. Last but not least, gehöre nicht zu den Aufklärungsverweigernden, sondern mach Dich schlau, wie Aufklärung gelingt, mit dem Buch “AUFGEKLÄRT”. Damit keine weitere Generation mehr der frommen Sextragödie zum Opfer fällt. Alle Bücher hier bestellen.