Hallo Veronika
Wir haben schon seit jeher Schwierigkeiten mit unserem Sexleben. Schon früh zeigte sich, dass mein Mann „überfordert“ war. Er hatte Erektionsprobleme, wusste nicht so recht, wie er mit meinem Körper umgehen sollte. Ich dachte damals noch, dass ich ihm nur genug beweisen muss, wie sehr ich ihn liebe und er einfach etwas Zeit braucht. Ich ergriff immer wieder die Initiative, war geduldig, habe ihm gesagt und gezeigt, was mir gefällt. Trotzdem wurde es nicht besser und hatte ich ständig den Eindruck, er suche Ausreden, um nicht Sex haben zu müssen.
Ich wollte mich aber nicht mit einer sexlosen Ehe abfinden. Ich habe ihm Bücher zum Thema geschenkt und oft mit ihm darüber gesprochen, jedoch erfolglos, bis wir Kinder wollten. Das erhöhte vorübergehend die Häufigkeit, aber es war für mich weit weg von erfüllender Sexualität. Ich wurde immer frustrierter, und in mir wuchs eine immense Wut. In früheren Beziehungen, bevor ich gläubig wurde, konnte ich zum Orgasmus kommen, war total unbefangen und fühlte mich frei… Und ausgerechnet jetzt, in der Ehe mit dem Mann, den ich über alles liebe, scheint ein erfülltes Sexualleben unmöglich?
Ich fühle mich mittlerweile nicht mehr „ganz“, als würde ein Teil von mir fehlen, oder als wäre in mir etwas zerbrochen. Schon mehrmals habe ich darüber nachgedacht, mich zu trennen. Die Situation ist enorm verfahren und ich weiss einfach nicht, was ich noch tun könnte. Hast Du mir einen Rat?
Violetta, 31 Jahre
Liebe Violetta
Ohne Deine Situation verharmlosen zu wollen - solche Zuschriften erhalte ich Zuhauf von frustrierten Ehemännern. Eine sexlose Ehe stellen sich die wenigsten vor, wenn sie sich für einen Lebensbund mit dem Partner entscheiden. Die Enttäuschung ist riesig, wenn sich das Sexleben dann als Desaster herausstellt. „Was ist bloß mit den Männern los?“ – Diese Suchanfrage bringt bei Google drei Millionen Ergebnisse. Die Zahl der Männer, die explizit sagen, sie haben keine Lust auf Sex, nimmt deutlich zu. Aber gleichzeitig nimmt die Zahl der Frauen zu, denen Sex wichtig ist und über die Jahre wichtig bleibt.
Anders als für die meisten Frauen ist es für Männer schwieriger, mit der Situation umzugehen, dass sie sexuell nicht funktionieren. Ein rechter Mann ist ein potenter Mann. Ist dem nicht so, ist der Mann in seiner ganzen Identität in Frage gestellt. Sprechen kann er darüber meist mit niemandem, auch, weil er darüber voller Scham ist. Du solltest also auf keinen Fall unterschätzen, was es mit Deinem Mann macht, dass er Dich nicht befriedigen kann. Zu sich kommen und bei sich sein, das sehen Experten als eigentliche Voraussetzung für eine glückliche Sexualität, völlig unabhängig davon, wie viel oder wenig Testosteron ein Mann im Blut hat. Die Männlichkeit sollte nicht vom harten Penis abhängen, sondern von der innerlich aufgerichteten Festigkeit. Nicht nur der Penis sollte aufgerichtet sein, sondern der ganze Mann. Dann kann er besser damit leben, wenn „er“ mal nicht steht. Deshalb, wenn Dein Mann sich mit seiner Männlichkeit auseinandersetzen möchte, empfehle ich ihm das Buch von Bjørn Thorsten Leimbach MÄNNLICHKEIT LEBEN - die Stärkung des Maskulinen.
Erektionsstörungen können unterschiedliche Ursachen haben. Leistungsdruck und die Angst, den eigenen, den gesellschaftlichen und den Vorstellungen der Frau von Männlichkeit nicht zu genügen, gehören dazu. Ab einem gewissen Alter wird die Erektion zudem grundsätzlich wackliger und jeder Mann muss irgendwie damit umgehen lernen. Der Penis wird zwar anfälliger für Störungen, gleichzeitig aber auch sensibler für das Schöne. Die wichtigsten Punkte im fortgeschrittenen Alter sind: realistische Erwartungen haben, Beckenbodentraining, Slow-Sex.
Die männliche Erregung ist ein komplexer im Hirn gesteuerter Ablauf und wird beeinflusst durch verschiedenste Erregungsquellen sowie durch die Art und Weise des Muskeleinsatzes bei der Erregungssteigerung, und sie hat sehr viel mit den bereits gemachten Lernschritten zu tun. Auch der männliche Körper spannt in der Angst den Beckenbodenmuskel stark an, ebenso reagiert das Nervensystem auf Angst und Stress mit einem Fluchtreflex, ausgelöst durch eine Botschaft des Bewachungssystems. Manche Frauen können aus Scham beim Sex nicht viel spüren, weil sie die Empfindungen nicht zulassen können oder Ekel dabei empfinden. Aus demselben Grund können manche Männer keine Erektion bekommen oder sie wieder verlieren, sobald sie eindringen wollen. Es würde deinem Mann vermutlich helfen, sich in einer Sexualberatung (Sexualberater, Androloge) mit seiner sexuellen Lerngeschichte auseinander zu setzen. Sich beispielsweise zu fragen, habe ich sexuelle Fantasien? Spielen sie für meine Erregung eine Rolle? Kann ich sie abrufen? Was habe ich für einen Bezug zu meiner Sexualität? Zu meiner Lust? Zu meinem Körper und meinem Penis? Finde ich ihn erotisch und lustvoll? Sind für mich der Körper der Frau, die Vulva und Vagina erotisch? Kann ich sie lustvoll “besetzen”? Möchte mein Penis gerne in die Vagina meiner Frau eindringen? Kann ich diese sexuellen Aktivitäten lustvoll erleben und geniessen?
Was für die Lustlosigkeit vieler Frauen gilt, gilt auch für den Mann. Er sollte Sex lernen. Lust lernen. Sex und Lust üben. Sicherheit, Technik und Routine gewinnen. Üben und dafür entsprechende Zeiten im Alltag einplanen. Für seine Selbsterfahrung, aber dann auch mit Dir als seine Partnerin. Eventuell hilft auch ein Potenzmittel (verschrieben vom Arzt), gepaart mit Beckenboden-Training. Empfehlenswert ist das neue Buch von Ann-Marlene Henning MÄNNER – Körper. Sex. Gesundheit.
Versucht, den Druck von Eurem Sexleben wegzunehmen, denn Erektionsprobleme können genau deshalb entstehen oder sich verstärken. Du selbst solltest versuchen, in die Haltung zu kommen: „Ich bin für meine Lust selbst verantwortlich“, „ich sollte im Sex das tun, was mir am meisten Lust verschafft“, “ich darf mir auch mal selbst Lust verschaffen”. Lass den Mut nicht sinken und mach Dich auf den Weg zu Deiner „unabhängigen“ Lust. Mach Deinen Mann zu einem guten Liebhaber, indem Du ihn davon entlastest, einer sein zu müssen.
Last but not least - plant Euren Sex, einmal die Woche, wenn Ihr Zeit habt, wenn Dein Mann “fit” ist, denkt Euch den Sex vielfältig und spielerisch. Versucht, verschiedenste Formen von Lust zu geniessen. Seid Euch auch zweckfrei körperlich nahe und geniesst diese Zweisamkeit. Es muss nicht immer Penetration und Orgasmus sein. Hauptsache Ihr erlebt Nähe, Verbundenheit und Erotik. Beginnt vielleicht nochmals ganz von vorne, wie am Anfang einer Beziehung: Nähe, Zärtlichkeit, Freundlichkeit, Liebe und Raum für Erotik. Anregungen dazu findet Ihr in meinem Buch ALLTAGSLUST.
Herzlich - Veronika