Hoi Veronika
In letzter Zeit hatte ich auffallend oft Gespräche mit Freundinnen über ihr Sexualleben. Dabei stellte ich fest, dass viele Paare um die 40 Jahre (wie mein Mann und ich), sich öfters selber befriedigen, aber zusammen gar keinen Sex mehr haben. Meine Freundinnen sagen, sie hätten keine Lust mehr auf Sex. Aber weshalb haben sie zwar Lust auf Selbstbefriedigung, aber keine Lust auf Sex mit ihrem Partner? Ist das die Folge davon, dass Selbstbefriedigung kein Tabu mehr ist?
Bin gespannt auf eine Antwort und grüsse Dich!
Natalie, 41 Jahre
Liebe Natalie
Ja, Lustlosigkeit ist ein grosses Thema. Aber nicht nur für Frauen. Es ist zwar nach wie vor so, dass mehr Frauen darunter leiden, als Männer. Einfach deshalb, weil die weibliche Lust mehr hormonellen Schwankungen unterworfen und träger ist. Sie braucht also in der Regel mehr Zeit, Stimulation und oft auch mehr Information, wie sie funktioniert. Die Pille oder andere Medikamente können die Lust zusätzlich hemmen. Grundsätzlich ist Lust störungsanfällig bei beiden Geschlechtern. Es gibt auch Männer, die keine haben, worunter dann ihre Frauen leiden. Das ist meine Erfahrung in der Beratung. Wenn „Mann“ weniger Lust hat, dann aus denselben Gründen wie die Frau. Einerseits, weil vielleicht der sexuelle Trieb, beziehungsweise das Bedürfnis nach Sex grundsätzlich nicht so stark ist. Dann gibt es Männer, die wie Frauen Lust lernen müssen, weil sie sich diese nicht zugestehen. Oder sie sind in ihrem Alltag so gefordert, dass ihnen die Lust förmlich vergangen ist. Männer können auch unter der Erwartung leiden, dauernd können zu müssen. Verbunden mit der Erwartung, nicht nur für die eigene Lust sorgen zu müssen, sondern auch für die Lust der Frau, ist Sex für sie mit Leistungsdruck verbunden. Sie spüren den Druck, perfekter Liebhaber sein zu müssen.
Dass die Lustlosigkeit ein ernsthaftes Problem darstellen soll, ist vor allem für die Pharmafirmen lukrative Zukunfsmusik. Die Lust-Pille dagegen, das „Viagra für Frauen“, soll nun tatsächlich nach dem x-ten Anlauf auf den Markt kommen. Ein Anti-Depressiva notabene. Laut gewissen (!) medizinischen Studien sollen 40% der Frauen über Lustlosigkeit klagen. Da eröffnet sich also ein gigantischer Markt.
Ich glaube nicht, dass Selbstbefriedigung der Grund für die Lustlosigkeit ist, sondern die Folge davon. Meine Erklärung dafür lautet, dass sich die Partner selber befriedigen, aber keinen Sex zusammen haben, weil es einfacher ist. Einfacher, weil sich auf den anderen einlassen Anstrengung bedeutet. Beziehungen leben ist ein Kraftakt. Manchmal ein schöner und herausfordernder, manchmal ein zermürbender und entmutigender. Wenn es zu mühsam wird, schlägt man irgendwann den Weg des geringsten Widerstands ein. An diesem Punkt der Beziehung wird es gefährlich. Ohne Sex geht meist die Nähe zum Partner verloren. Oder die emotionale Nähe zum Partner ist schon weg, weshalb man auch keinen Sex mehr mit ihm will. Die verlorene Nähe wieder herstellen gelingt, indem wir unser Innerstes dem anderen öffnen und ihn wieder in unser Leben einbeziehen. Denn Beziehung ist Austausch, teilen, teilhaben lassen, sich begegnen, aktiv sein, Wagnisse eingehen. Dafür müssen wir miteinander reden. Wenn wir das nicht (mehr) können, sollten wir uns aufmachen, es zu lernen. Denn Paare, die nicht miteinander reden, haben oft keinen Sex mehr. Wer miteinander redet, hat meistens auch Sex.
Mangelndes sexuelles Verlangen ist eine völlig alltägliche Erscheinung in einer langjährigen Beziehung. Manche Paare in der Beratung sagen, wenn Sex endlich mal stattfinde, sei er schon befriedigend. Sie wüssten eigentlich gar nicht, weshalb sie „es“ nicht öfter täten. Wer abends lange fernsieht, Pflichten erfüllt bis kurz vor dem Zubettgehen, bis zur letzten Minute im Bett online ist, wer an freien Tagen, wenn alle Kinder außer Haus sind, nicht zusammen ins Bett geht, wer nie zusammen einen Abend mit Nichtstun auf dem Sofa verbringt, nie Händchen haltend einen Abendspaziergang ums Wohnquartier macht, wer nie, wenn die Kinder früh im Bett sind, einfach die Hüllen fallen lässt, wird vielleicht nur in den Ferien Sex haben. Oder dann erst recht nicht. Doch so verliert man die Übung im Sexhaben, was ihn meist auch nicht besonders aufregend sein lässt.
Wir sollten Sex im Alltag einplanen. Feierabend machen. Dafür Zeit reservieren. Musse haben. Ihn stattfinden lassen, den Sex. Einfach zusammen nackt irgendwo hinliegen und „es“ tun. Je öfter wir das tun, desto einfacher wird es. Und wenn es trotzdem nicht einfach ist, weil die Übung und die Erfahrung fehlt, wie man zu Lust aus seinem eigenen Körper kommt? Dann finden sich einige Hinweise und Links auf SEX WISSEN und dem Blog-Beitrag „Hilfe, unser Sex ist langweilig!“.
Mit luststeigernden Wünschen grüsst herzlich - Veronika