Liebe Veronika
Meine Kumpels und ich schauen immer wieder Pornos, obwohl wir merken, dass wir uns selbst, unseren Freundinnen oder Frauen damit schaden. Doch dann suchen wir trotzdem wieder nach diesem Kick. Weshalb tun wir es wider besseres Wissen doch? Was braucht es, damit wir davon loskommen können? Wir sind gespannt auf Deinen Rat.
Grüsse
Richi, 34 Jahre
Lieber Richi
Eigentlich ist die Erklärung, weshalb Ihr tut, was Ihr nicht tun möchtet, ganz einfach. Ihr habt Euer Hirn davon abhängig gemacht. Und zwar durch den immer wiederkehrenden Lustgewinn, der damit verbunden ist. Praktisch alle Menschen, die Pornos schauen, befriedigen sich dabei oder hinterher selbst. Das gibt dem Ganzen einen zusätzlichen Gewinn. Weshalb sollte man auf etwas verzichten, das einem soviel Lust verschafft? Dazu gesellt sich die Motivation, wozu Ihr diese Lust benötigt. Vielleicht um Stress, Frust und Langeweile loszuwerden?
Wie diese Abhängigkeit funktioniert? Sex ist gekoppelt mit dem Belohnungszentrum im Hirn. Sex, Pornografie, Drogen, Alkohol, Games beispielsweise schütten dieselben Botenstoffe und Glücks- und Bindungshormone aus wie etwa Verliebtheit, Essen, Kaffee, Schokolade, Sport, Shoppen und andere Glücksmomente. Bei entsprechendem Reiz wird mein Hirn das Belohnungssystem aktivieren und dieses Erlebnis in den dafür vorgesehen Hirnstrukturen abspeichern. Dann kann die Erinnerung an die zu erwartende Belohnung mich motivieren, dieses Erlebnis zu wiederholen. Die Erinnerung wird es mir leicht machen, Freude dabei zu empfinden. Und ja, exzessiv gesuchte Wiederholung kann zu Sucht führen, egal, um was für einen Belohnungsreiz es sich handelt.
Der Dauerkonsum von Pornografie bewirkt, dass daneben der Sex mit der Partnerin nicht mehr attraktiv genug ist. Wer sich in der Beziehung mehrheitlich selbst befriedigt, empfindet Geschlechtsverkehr aus denselben Gründen mühsam, anstrengend und ineffizient. Viele Paartherapeuten sind überzeugt, und offenbar spürt Ihr das selbst, dass regelmässiger Pornokonsum der Liebesbeziehung schaden kann. Durch die Pornografie entsteht zudem ein sehr mechanisches Bild von Sexualität, was per se ein Erotikkiller ist. Das sexuelle Selbstvertrauen sinkt und ebenso die Lust auf „normalen“ Sex. Zudem lösen Pornos einen gewaltigen Leistungsdruck aus. Deshalb konsumieren schon junge Männer Viagra, weil sie Angst haben, im entscheidenden Moment nicht oder nicht lange genug zu können.
Obwohl es schaden kann - tendenziell reagieren wir bei diesem Thema über, wie bei allem, was mit Sex zu tun hat. Sich sexuell anregende Bilder anzusehen, macht nicht gleich abhängig. Doch die unschuldigen Zeiten der nackten Bilder sind heute vermutlich definitiv vorbei. Wo die Grenze überschritten wird? – Ihr wisst es, wenn Ihr die entsprechenden Bilder seht. Mein feministisches Herz hat vor allem mit der dahinterstehenden menschenverachtenden Industrie und Maffia ein grosses Problem. Die Pornoindustrie generiert gewaltige Milliardenumsätze. Aber ja, das tut übrigens die Sehnsuchtsindustrie mit nicht weniger grossem Gewinn. Tränen, Blut und Sperma verkaufen sich ausserordentlich gut. Romantische Sehnsüchte, Liebesgeschichten, Facebook und Instagram sind „das Porno“ der Frauen. Frauen schmelzen sehnsuchtsvoll auf Promiportalen, bei Klatsch und Tratsch, in Fernsehserien und Filmen dahin. Wer gerne Herzschmerzfilme schaut, kommuniziert im realen Leben weniger, in der Annahme, der Partner wisse – wie im Film –was man möchte. Liebesfilme schüren die Sehnsucht nach der perfekten Liebe, die es so nicht gibt und führen zu permanentem Frust in der real gelebten Beziehung.
Paulus sagt in 1. Korinther 6,12: “‘Es ist alles erlaubt‚ sagt ihr. Das mag stimmen, aber es ist nicht alles gut für euch. Mir ist alles erlaubt, aber ich will mich nicht von irgendetwas beherrschen lassen.“ Wir sollten nach dem Wort von Paulus Dinge grundsätzlich in Frage stellen, um zu sehen, ob sie uns wirklich guttun. Das heißt, es gibt in vielen Bereichen eine Gratwanderung: Alles kann schön und gut für uns sein, wenn es dem Genuss dient, aber es kann uns auch zur Last werden und uns in eine Abhängigkeit führen, wenn wir nicht verantwortungsvoll damit umgehen.
Wenn Ihr als Paar spürt, dass Ihr von pornografischen oder romantischen Erregungsquellen abhängig geworden seid, werdet ehrlich und gesteht Euch und dem anderen die Abhängigkeit ein! Oft hilft es schon, miteinander darüber zu reden. Zudem kann ein solches Gespräch auch die Chance sein, überhaupt miteinander über Eure Paarsexualität ins Gespräch zu kommen und sich verborgene Wünsche und Sehnsüchte zu offenbaren. Es wird für Dich und Deine Freunde darum gehen, Eure Quellen für Euren Lustgewinn zu ersetzen, Eure Bequemlichkeit zu überwinden und Euch auf Eure Frauen einzulassen, was mit Sicherheit anstrengender aber auch erfüllender sein wird. Werdet abhängig vom guten Sex mit Euren Frauen oder guten Erfahrungen mit Euch selbst. Das gelingt, indem ihr Euch selbst mit viel Lustgewinn in Eurer Erregung wahrnehmt und die Erregung Eurer Partnerin sucht und geniesst. Schafft Euch Erregungsquellen in der Fantasie mit Euch und Eurer Partnerin und ebenso mit offenen Augen in der Realität. Holt Eure Erregung aus der Bewegung mit Eurem Körper. Sollte das allein nicht gelingen, ist vielleicht auch Hilfe von außen notwendig.
Also, Richi und Kumpels – werft die Huren und Nebenbuhler aus Euren Betten!
Herzlich - Veronika