Liebe Veronika
Mein Mann (57) und ich (55) sind seit 2014 verheiratet. Von Anfang an war es uns nicht möglich, Geschlechtsverkehr zu haben. Bei meinem Mann zeigen sich Erektionsstörungen. Der Urologe sagt, es sei alles in Ordnung. Vor allem mich plagt diese Tatsache sehr!
Was würdest Du raten? Thea
Liebe Thea
Wir Menschen realisieren manchmal erst, dass gewisse Dinge im Leben ein Ablaufdatum haben, wenn wir davon betroffen sind. Denn in der Lebensmitte ab spätestens 45 Jahren kommt der hormonelle Rückbau im Körper bei beiden Geschlechtern. Die Fähigkeit, sexuell erregt zu sein, lustvoll zu genießen und einen Höhepunkt zu erleben, bleibt bei Frauen grundsätzlich auch nach der Menopause unverändert. Deshalb ist diese Zeit für Frauen oft neu eine lustvollere, als die anstrengende Phase von Kinderaufziehen und Karriere verfolgen. Dass Dich nun Eure Situation frustriert, kann ich gut verstehen. Bei den Männern hingegen nimmt die Erektionsfähigkeit ab und wird unzuverlässiger. Die Erektionen entwickeln sich langsamer, es braucht mehr Reize und Stimulation dazu. Auch jahrelange, zu heftige Reibung des Penis, der damit verbundene Druck auf den arteriellen Zufluss der Schwellkörper und mangelnde Wahrnehmung der Abläufe im Körper können die Erektionsfähigkeit beeinträchtigen.
Die Sensibilität des Penis nimmt im Alter ab, er verliert an Elastizität, wird etwas kürzer, verliert ein wenig an Umfang. Er erreicht deshalb im erigierten Zustand nicht mehr die frühere Größe und Härte. Dabei handelt es sich um normale altersbedingte Umbauprozesse. Grundsätzlich ist es für einen Mann gut, wenn er regelmäßige Ejakulationen hat. Sie sind zwar nicht überlebensnotwendig und es wird auch keinen „Samenstau“ geben. Der Körper wird einfach weniger Sperma produzieren, wenn keines benötigt wird. Aber die Ejakulationen sind wichtig für einen Mann, der seine Erektionsfähigkeit möglichst lang erhalten möchte bis ins Alter. Wechselnde Erektionsstärken und vorübergehende Schwächen müssen nicht zwingend Versagensängste auslösen, wenn wir uns all diesen Veränderungen bewusst sind.
Bei Euch kommt nun sicher erschwerend hinzu, dass ihr Euch nicht auf ein jahrelanges sexuelles Kennen voneinander und eine grosse Vertrautheit verlassen könnt. Der Anfang einer neuen Beziehung bedeutet für den nicht mehr jungen Mann eine Belastung. Die Angst, den Erwartungen der Partnerin oder auch den eigenen nicht gerecht zu werden, kann genügen, den Penis lahmzulegen. Da ich es nicht weiss, kann ich nur vermuten, dass Dein Mann vielleicht eine längere Phase der sexuellen Inaktivität hinter sich hat, vielleicht auch ohne Selbstbefriedigung. Somit könnte die Funktionalität der Gefässe reduziert sein. Wenn dem so ist, kommt sofort die Angst dazu, die Erregungsfähigkeit verloren zu haben. Und mit jeder Gelegenheit zum Sex wird so Dein Partner nervös, angespannt und hat die Angst, erneut zu versagen. Probleme mit der Erektion sind für viele Männer beunruhigend bis existenziell bedrohlich. Wenn es nicht „einfach geht“, ist das ein Frontalangriff auf den Selbstwert und das Männlichkeitsgefühl.
In der Angst spannt sich der Beckenbodenmuskel stark an, ebenso reagiert das Nervensystem auf Angst und Stress mit einer Art Fluchtreflex, ausgelöst durch eine Botschaft des Bewachungssystems. Die männliche Erregung ist ein komplexer im Hirn gesteuerter Ablauf, beeinflusst durch verschiedenste Erregungsquellen, die Art und Weise des Muskeleinsatzes bei der Erregungssteigerung und die bereits erfahrenen Lernschritte.
Ihr könnt sehr wohl lustvollen befriedigenden Sex erleben, wenn es Euch gelingt, Eure Sexualität in erweiterten Dimensionen vorzustellen. Findet für Euch heraus, was neben der Penetration beim Sex genauso viel Spass machen kann. Euch stehen neben dem Penis noch viele weitere „Werkzeuge“ zur Lusterfüllung zur Verfügung. Zunge, Lippen, Händen und Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Sorgt dafür, dass Ihr Euch feste Zeiten gönnt, in denen Ihr Eure Körper geniesst und Euch von jeglichem Druck befreit. Auch wenn Eindringen mit dem erigierten Penis nicht möglich ist, kann eine entspannt geöffnete Vagina den Penis aufnehmen (hört sich gut an, meist ist es eher ein liebevolles Hineinstopfen…) siehe Bild unten. Auch so könnt Ihr Euren Empfindungen nachspüren. Du kannst seinen Penis mit Hilfe von Vagina und Beckenbodenmuskeln umfangen, massieren, ihn spüren, ihn Dich spüren lassen und vielleicht bewegt sich dann plötzlich mehr. Muss aber nicht. Dann steht nicht höchste Erregung im Vordergrund, sondern mehr der Wunsch, dem anderen nahe zu sein. Ekstase beim Sex kommt dann mehr durch Loslassen und immer tieferes Entspannen, indem Ihr einfach beieinander oder auch mal ineinander bleibt, und ganz wach, sensibel und bewusst im Hier und Jetzt den anderen geniesst. Ich würde Deinem Mann raten, dass er auch mit sich selbst ausprobiert und Erfahrungen macht, die er dann in Eure gemeinsame Sexualität übersetzen kann.
Doch manchmal braucht es auch den Gang zum Sexualtherapeuten. Um sich Wissen um die Zusammenhänge zu erwerben, die Zuversicht zu bekommen, dass man etwas dagegen oder dafür tun kann und entsprechende Übungen (z.B. Beckenbodenübungen, Beckenschaukel) zu erlernen. Durch Übung, Variation und Spiel mit Muskelspannung, Bewegungsrhythmen und Atmung in der sexuellen Erregung kann der Mann die Körperwahrnehmung und den Genuss verstärken – und damit die Erektionsfähigkeit verbessern. Das nimmt die Angst und Scham und Lernschritte werden möglich. Auch Lernschritte bezüglich des Gefühls der Männlichkeit, der Anziehungscodes, der sexuellen Fantasien etc. sollten in einer Therapie Ziel sein. Mit Hilfe meines Buches LIEBESLUST könnt Ihr Euch dieses Wissen auch anlesen und anlernen.
Eine medikamentöse Zusatzbehandlung könnte ebenfalls helfen. Die so gewonnene Verbesserung der Erektion und die verminderte Angst nehmen ebenfalls den Druck weg. Doch allein auf die Wirkung eines Medikaments zu setzen, würde ich Euch nicht empfehlen. Erst in Kombination mit den erlernten erotischen und körperlichen Fähigkeiten wird die Erektion auch effizient und möglicherweise ohne Medikament wieder zuverlässig genug. Lasst Euch in der Wahl, Anwendung und Dosierung eines Medikaments vom Arzt beraten. Viagra, das Bekannteste, nimmt man kurz vor dem Geschlechtsverkehr ein, was auch wieder Leistungsdruck auslösen kann. Die „Wochenendpille“ Cialis mit einer bis zu 36-Stunden-Wirkung lässt einen entspannter sein, weil es nicht so wichtig ist, zu welchem Zeitpunkt der Sex stattfindet.
Leider kostet es die Männer immer noch sehr viel Überwindung, sich in die Sexualberatung zu wagen. Mir sind Männer begegnet, die aus diesem Grund lieber auf Sex verzichten. Doch aus einer Erektionsstörung können Beziehungsprobleme entstehen und die Lust auf Sex kann ganz verschwinden. Meine Erfahrung ist: Darüber zu reden, hilft. Oftmals würden die Frauen gerne darüber sprechen, aber die Männer ziehen sich zurück und weichen aus. Es braucht von Deiner Seite darum viel Fingerspitzengefühl. Zerreden hilft genauso wenig, wie dem Thema auszuweichen. Hüte Dich zudem vor sämtlichen Gedanken, dass Du ihm nicht genügst, Du zu wenig attraktiv für ihn bist oder er Dich vielleicht gar nicht liebt. Mach Dein und Sein Glücklichsein nicht von einer Erektion abhängig.
Mit Mut zusprechenden Grüssen - Veronika