Liebe Veronika
Ist Sex vor der Ehe Sünde?
Lukas, 22 Jahre
Lieber Lukas
Ich habe mir lange überlegt, ob ich mich dazu versteigen soll, Dir diese Frage zu beantworten. Nicht, weil ich keine Meinung dazu habe, sondern weil Deine Frage das heisse Eisen in christlichen Gemeinschaften schlechthin ist. Mit einer Antwort kann ich mich eigentlich nur in die Nesseln setzen. Trotzdem - hier ist sie: Sex vor der Ehe kann sowohl keine Sünde, als auch Sünde sein. Ich will Dir das begründen.
Je nachdem, wem Du diese Frage stellst, wirst Du Menschen finden, die sagen „Ja“, das ist Sünde und solche, die genauso überzeugt sagen, „Nein“, ist es nicht. Und beide nehmen Dir mit ihrer Antwort die Verantwortung ab. Der eine mit einem Verbot, der andere mit einer Erlaubnis. Beides ist nicht richtig. Auf Deine ganz individuelle Lebenssituation geschaut, kann eine Erlaubnis genauso falsch sein wie ein Verbot. Wenn was schief läuft, wirst Du sagen: „Der andere hat aber gesagt, dass ich das darf. Woher sollte ich wissen, dass diese Beziehung nicht hält und es dann sehr weh tut; dass man dabei so leicht schwanger werden kann; dass das doch nicht alle so easy sehen in der christlichen Gemeinde?“ Oder Du verzichtest erst mal auf Sex, weil man Dir das verboten hat. Aber wenn Dir dann grad nicht nach Gebote einhalten ist, übertrittst Du es halt. Du sagst: „Diese Gesetze sind viel zu streng, die kann man ja nicht einhalten.“ Sagen mir zum Beispiel Leute, wenn ich sage, das Petting zum Orgasmus auch Sex ist. Dann werden sie auf mich wütend, weil ich ihnen das Spiel verdorben habe, das heisst, „wir haben keinen Sex vor der Ehe, wir tun nur so.“
Es ist meine feste Überzeugung: Die Verantwortung in dieser Frage kann jeder nur für sich selber übernehmen. Sexuelle Sünden haben nach wie vor einen besonderen Stellenwert in der christlichen Gemeinde. Doch schauen wir mal, welches Jesus zum höchsten aller Gebote gemacht hat: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst“ (Lukas 10,27).
Dieses Gebot als Grundlage zur Definition von Sünde gibt uns allen reichlich Gelegenheit, immer wieder schuldig zu werden. Deshalb sagt Paulus in Römer 3,23: „Alle sind Sünder und haben nichts aufzuweisen, was Gott gefallen könnte.“ Und in Römer 3,20 rückt er unser Gutmeinen und Rechtmachen ins rechte Licht und schreibt: „Denn kein Mensch wird jemals vor Gott bestehen, indem er die Gebote erfüllt. Das Gesetz zeigt uns vielmehr unsere Sünde auf.“ Gemäss Jesus umfassendem Liebesgebot könnte man sagen: „Wenn es weh tut, ist es keine Liebe. Dann ist es wohl Sünde.“ Und in der Folge werden wir dann traurig, sagt Paulus in 2. Korinther 7,10a: „Denn die von Gott bewirkte Traurigkeit führt zur Umkehr und bringt Rettung. Und wer sollte das jemals bereuen!“
Ich stelle Deiner Frage ein paar Überlegungen zu unserer heutigen Lebenswelt gegenüber. Die heutigen Zivilgesetze geben einen relativ klaren Rahmen bezüglich des Auslebens von Sexualität. Wir haben eine Trennung von geistlicher und weltlicher Gewalt in unserem Land. Gewisse Dinge „müssen“ wir gegenüber dem Staat, in anderen können wir uns allein Gott verpflichtet fühlen. Persönliche Wertmassstäbe können strenger als das Gesetz sein, aber nicht lockerer. Die heutige Lebenswelt erlaubt eheähnliche Formen von Paarbeziehungen, die eine Definition von Ehe und somit „vor der Ehe“ weit fassen lassen. Nach meinem Dafürhalten spricht Gott in Bezug auf Beziehung zwischen sich und dem Mensch sowie zwischen Mann und Frau von einer Einheit zweier Pole auf einer emotionalen Grundlage. Sich in dieser Einheit lieblos zu verhalten, zu betrügen, zu manipulieren, zu zwingen, Gewalt in psychischer und physischer Form anzuwenden, ist nach meinem Dafürhalten „Ehebruch“.
Manchmal verstehen Menschen meine Überlegungen als Kritik an der Ehe. Ich liebe die Ehe. Sie ist in unserer Lebenswelt die verbindlichste, vom Gesetz am besten geschützte Form der Beziehung und die sicherste Form des Zusammenlebens für Kinder. Gar nichts spricht gegen die Ehe. Aber dass die Eheschliessung mit der Aufnahme der sexuellen Beziehung gleichgesetzt wird, lässt ganz viele gläubige Menschen „in Sünde leben“. Was ich an dieser Stelle ausdrücklich betonen möchte: Ich rede von erwachsenen Menschen – Definition volljährig. Lange berufliche Werdegänge, wirtschaftliche Zwänge, verschiedenste Lebensumstände lassen das meiner Meinung nach „normative“ Sex-Verbot zu einem lieblosen Statement verkommen.
Lieber Lukas. Langer Rede kurzer Sinn. Aufgrund vieler Überlegungen komme ich zum Schluss, dass in den Augen von Gott Sex vor der Ehe Sünde ist, wenn aus lieblosen selbstsüchtigen Motiven gewollt, ohne die entsprechende Verantwortung für den anderen Menschen und die Beziehung zu übernehmen. Und es ist in meinen Augen vor Gott keine Sünde, wenn er in übereinstimmender liebender Einheit zweier Menschen aufgrund emotionaler Grundlage und Übernahme von Verantwortung geschieht. Wer entscheidet, was es nun ist? Das kann meiner Meinung nach nur das Paar selber entscheiden und die Verantwortung dafür nicht anderen abtreten. Genauso wie die Entscheidung, ob man mit Sex bis zu Standesamt und Kirche warten will oder nicht. Wenn Dich diese Frage persönlich betrifft, dann sage ich schlicht und einfach: Frag Gott, frag Dein Herz, frag Deine Liebste! Herzlich - Veronika