WIEVIEL FEMINISMUS KANN KIRCHE?
WIEVIEL FEMINISMUS KANN KIRCHE?
Darüber habe ich mich mit dem Podcaster Jason Liesendahl von SCHÖNER GLAUBEN unterhalten. Ich war nochmals Gästin bei Jason. Wir sprachen über das Buch "Endlich gleich!" und über dessen christlich-feministische Perspektive. Über Fragen des Bibelverständnisses und warum Feminismus in evangelikalen und freikirchlichen Bezügen auf absehbare Zeit keine großen Durchbrüche zu erwarten hat. Ernüchternd. Aber auch aufrüttelnd. Fand Jason.
WIDER DIE SEXPFLICHT!
GEGEN PFLICHT UND FRUST HILFT NUR DIE LUST!
Veronika Schmidt
Noch nie gab es so viele Reaktionen auf einen BLOG-Beitrag, wie zu “VAGINISMUS - DIE SEXUELLE TRAGÖDIE RELIGIÖSER FRAUEN”. Viele Frauen und auch Männer waren bestürzt, betroffen, verzweifelt, verunsichert, empört.
“Der Blog geht ganz schön unter die Haut”, schrieb eine Frau: “Ich bin unglaublich dankbar, dass ich auf meinem persönlichen Entwicklungsweg eine Beziehung zu mir aufbauen konnte, welche mir lustvollen Sex ermöglicht - obwohl ich in einem extrem engen christlichen Gemeindeumfeld aufgewachsen bin.” “Ich bin entsetzt”, schrieb eine andere Frau. Nicht so, wie ihr vielleicht denkt. Sie war entsetzt über der Tatsache, dass Sex gar keine Pflicht ist, wie sie geglaubt und ihr von ihrem Mann und der Gemeinde eingetrichtert wurde.
Die wahre Tragödie ist, dass Frauen mangels Vermittlung einer Kultur der Lust “hinhalten”, weil sie Sex nicht zu geniessen gelernt haben. Sie getrauen sich auch nicht, zu ihren eigenen Bedürfnissen und Grenzen zu stehen. Handkehrum ist es aber auch eine Tragödie, wenn Paare keine gemeinsame Sexualität leben, weil Frauen sich verweigern. Die Ursachen beider ehelicher Tiefpunkte sind auch hier in der Purity Culture, der Aufklärungsverweigerung und der Vorstellung einer Sexpflicht zu finden.
Leider gibt es Männer, die Sex einfordern. Gerne auch mit meinen Büchern in der Hand. Ein Mann sagte mir, ich würde doch in meinen Büchern schreiben, ein Paar sollte möglichst viel Sex haben. Nein, das steht nirgends in meinen Büchern. Wenn schon, steht da, ein Paar sollte möglichst viel Lust beim Sex empfinden. Es steht da, wie Frauen entgegen einer sex- und frauenfeindlichen religiösen Kultur Lust entwickeln können. Es steht da auch, wie Männer aus einer ungesunden Sexfixiertheit (die sie oft mit “Lust” verwechseln) zu sich selbst und ihrem Körper finden. Denn auch Männer leiden unter den verqueren religiösen Vorstellungen von Sex.
Die Sexpflicht wird mit der Bibelstelle in 1. Korinther 7:5 gerechtfertigt:
Keiner soll sich dem anderen verweigern, es sei denn, beide Ehepartner beschließen übereinstimmend, sich für eine begrenzte Zeit sexuell zu enthalten, um sich noch intensiver dem Gebet widmen zu können. Danach kommt wieder zusammen, damit euch der Satan nicht in Versuchung führt, weil ihr euch nicht beherrschen könnt. (NLB)
Über die vorangehenden und nachfolgenden Verse dieser Bibelstelle sollte man ein wenig brüten, damit sich einem Paulus Haltung zu Sex erschliesst. Vorangegangen war nämlich eine aus Paulus Sicht ungesunde Haltung der Korinther, die postulierten, am besten würden Christen gar ganz auf Sex verzichten. Also totale Askese, selbst wenn man verheiratet ist. Nach dem Motto “ein rechter Christ braucht keinen Sex”. Dem widerspricht Paulus entschieden. Was er dabei ebenfalls festhält: Sex ist etwas Gegenseitiges, Einvernehmliches, Gleichgestelltes. Darüber kann nicht eine Person allein entscheiden. Weder der Mann allein, noch die Frau allein. Wobei Männer eher über das Stattfinden entscheiden und Frauen über das Nichtstattfinden. Doch beides ist nicht in Ordnung.
Deshalb sollten wir auch über das Wort “entziehen” nachdenken. Beziehungsweise über die Gründe, weshalb Partner sich entziehen. Meistens ist es der Druck, zu müssen. Unter diesem Druck stehen auch Männer. Denn dass Mann immer will und kann ist ein weit verbreiteter Mythos, der nicht stimmt. Männern vergeht ebenso die Lust auf Sex, wenn sie unter Stress stehen, Frau und Kinder nerven und sie sich nicht verstanden fühlen. Sex in einer (langjährigen) Beziehung braucht viel dringender eine wohlwollende und wertschätzende Atmosphäre als Leidenschaft. Leidenschaft kann entstehen beim Sex, doch ohne liebevollen Umgang wird er möglicherweise gar nicht erst stattfinden.
Aus diesem Blickwinkel betrachtet unterstütze ich Paulus Rat sehr, dass man sich nicht entziehen soll. Entziehen betrifft nicht nur den Sex, sondern genauso die emotionale Nähe und Verbundenheit. Sich nahe und beste Freunde sein, zwei eigenständige Persönlichkeiten bleiben (oder werden) und etwas sexuelles Know-How sind beste Voraussetzungen für ein lustvolles und befriedigendes gemeinsames Sexleben. Was, wie Paulus in 1. Korinther 7:6 sagt, eine Empfehlung ist, kein Muss:
Das ist aber nur eine Empfehlung von mir, kein Gebot. (NLB)
OMG - DIE MASKE IST AB!
Veronika Schmidt
OMG, kein Stein bleibt auf dem anderen, wenn man das Buch «Jesus and John Wayne» liest! Jedenfalls nicht für diejenigen, die freikirchlich aufgewachsen sind, wie ich. Die Maske ist ab!
Das Buch von Kristin Kobes Du Mez, Professorin für Geschichte an der Calvin University in den USA, entlarvt akribisch die evangelikale Welt. Deren kalkulierte (kirchliche und politische) Verschwörung für das «gottgegebene» Patriarchat und die weibliche Unterordnung, deren Misogynie, den sexuellen Missbrauch, #churchtoo. Was hat das mit Europa und mit mir zu tun? Viel zu viel. Durch und durch sind wir damit imprägniert. Die ganze evangelikale Welt seit den 50er Jahren hat mitgeholfen, mitfinanziert, exportiert und importiert. Billy Graham, Bill Bright (Campus Crusade for Christ), Fuller Seminary, John Dobson (Focus on the Family), Tim LaHaye, John Eldrige, John Piper, Mark Driscoll und wie sie alle heissen, hypten, unterstützten, förderten und deckten sich gegenseitig und prägten den Evangelikalismus als eine «axtschwingende», die Weiblichkeit beschützende Männlichkeit, der alle Verfehlungen als «testosteronbedingtes Nicht-anders-können» zu verzeihen war. Ihre Welt: Das weisse Haus, das Militär, Purity-Culture, Promise Keepers (fielen später etwas in Ungnade, weil zu soft), Wilde at Heart, Mel Gibson und sein William Wallace…. schiessen, fluchen, Jordan Peterson - eben John Wayne. Über Jahrzehnte wurden Netzwerke und Allianzen geknüpft, die die hyper-komplementaristische Peripherie mit dem gemässigteren, aber nicht weniger dogmatischen, Zentrum verbanden, schreibt Kobes Du Mez.
Selbstverständlich fehlen auch die Königinnen nicht. Das sind Frauen, welche das Patriarchat gross macht und die die “Töchter Gottes” in ihre komplementären Schranken verweisen. In perlengeschmückte kirchliche Oasen mit Duftölen, Schminkkästen, Frisiertischen, Kuchenbacken und Kinderhüten.
Es kann nach dieser Lektüre nicht mehr wundern, weshalb es keine freikirchliche Emanzipationsbewegung gibt. Weshalb an allem Emanzipatorischen und Egalitären komplementaristischer Widerstand klebt wie Teer, und entsprechende Initiativen nicht abheben oder in kürzester Zeit wieder zum Erliegen kommen. Es ist das System! Von Grund auf misogyn aufgebaut, erstickt es jede erstarkende Weiblichkeit im Keim. Das Buch «Jesus and John Wayne» erschien ein Jahr nach meinem Buch «Endlich gleich!». Und gibt mir Erklärungen, weshalb «renommierte» geistliche Männer in Deutschland und der Schweiz wegen meinem Buch «schäumten» (oder feige wegsahen) und alles daransetzten, dass es keine Öffentlichkeit bekam. Ich wollte mein Buch damals «Schämt Euch!» nennen. Der Titel wäre passender denn je. Here we go – schwarz auf weiss – der Antifeminismus in der evangelikalen Lebenswelt hat eine klare Agenda.
Ich habe der Freikirchenwelt meinen Glauben an Gott zu verdanken, das Wissen um und damit erfahren von einer persönlichen Beziehung zu Jesus und ein geistgeleitetes Leben. Das ist mein gläubiger Kern. Darum herum trage ich seit Jahren und Jahrzehnten Lage um Lage ab von ungesunden, gestörten Schichten von religiöser Prägung. Nein, das ist keine Dekonstruktion meines Glaubens, kein «post-irgendwas», das nennt sich Heilwerden, Gesunden in eine gottgewollte, schöpfungsgleiche, gleichberechtigte und gleichgestellte Weiblichkeit und Männlichkeit hinein.
Noch eine Frage zum Schluss: Weshalb werden Bücher wie «Jesus and John Wayne» von Kristin Kobes du Mez und «The Making of Biblical Womanhood: How the Subjugation of Women Became Gospel Truth» von Beth Allison Barr (ebenfalls Professorin der Geschichte) nicht ins Deutsche übersetzt? Abgesehen davon, dass damit vermutlich kein Geld zu verdienen ist. Just asking.
DAS COMEBACK DER EVANGELIKALEN FEMINISTINNEN - RADIO SRF PERSPEKTIVEN
WHAT A GREAT HONOUR AND PRIVILEGE!
Ich darf im selben Beitrag zu Wort kommen, wie die beiden grossen evangelikalen Feministinnen Beth Allison Barr (The Making of Biblical Womanhood) und Kristin Kobes Du Mez (Jesus and John Wayne: How White Evangelicals Corrupted a Faith and Fractured a Nation).
Eine Radio SRF Sendung zum evangelikalen Feminismus in Amerika und der Schweiz. Hochdeutsch.
Das Comeback der evangelikalen Feministinnen
Feminismus finden viele Evangelikale schlicht falsch – besonders in den USA. Doch es gibt auch andere Evangelikale: Christliche Autorinnen propagieren die Gleichberechtigung von Mann und Frau und verkaufen ihre Bücher millionenfach. Sie sind sowohl evangelikal als auch feministisch.
Redaktion: Dorothee Adrian
Wie passt das zusammen?
Der Feminismus sei kein Teufelszeug, so wie das führende, männliche Evangelikale in den USA gerne behaupten. Feminismus sei im Gegenteil etwas zutiefst Christliches: "Im Himmel gibt es keine Hierarchien", argumentiert die evangelikale Pastorenfrau und Uniprofessorin Beth Allison Barr. Mit "The Making of Biblical Womanhood" – die Entstehung der biblischen Weiblichkeit – schrieb sie einen US-Bestseller. Die Unterdrückung von Frauen sei nicht gottgewollt, sondern menschengemacht, so Barr. Zusammen mit ihren Mitstreiterinnen beschert sie dem evangelikalen Feminismus nach vielen Rückschlägen nun ein starkes Comeback – auch als Reaktion auf Donald Trump. Kommt diese Welle auch in der Schweiz an? Leider noch nicht, sagt die Schweizer Sexologin und Beraterin Veronika Schmidt. Ihre Bücher über Sex und Liebe kommen bei frommen Christinnen und Christen gut an. Ihr Buch über Gleichberechtigung jedoch interessiere kaum.
Autorin: Susanna Petrin
Und hier noch ein Hörtipp in eigener Sache: In der Perspektivensendung "Fromm und sexy" erzählt Veronika Schmidt, warum ihre Aufklärungsarbeit besonders bei den Freikirchen so gut ankommt.
https://www.srf.ch/audio/perspektiven/fromm-und-sexy?id=11468787