Liebe Veronika
Ich würde gerne wissen, was Du zu gewollter Kinderlosigkeit denkst. Ich bin seit vier Jahren verheiratet, liebe meinen Mann sehr, wir beide könnten uns aber gut vorstellen keine Kinder zu haben.
Leider erlebe ich fast nur in christlichen Kreisen, dass dieses Lebensmodell keine Akzeptanz erfährt. Entweder kriege ich zu hören: "Du bist noch jung, das kommt noch." Oder ich höre zwischen den Zeilen, dass Kinderkriegen doch die Aufgabe, Bestimmung und Erfüllung einer Frau ist. Sowieso kommt es mir vor, als könne Frau, egal wie sie sich entscheidet, nichts richtig machen. Sie muss sich immer "rechtfertigen": Ist sie Vollzeitmama, wird sie für eben dies belächelt. Arbeitet Frau als Mama Teilzeit, darf sie sich keinesfalls über die Doppelbelastung beklagen, da sie diese ja willentlich gewählt hat. Arbeitet Frau zu viel, gibt sie ihre Kinder sogar noch in eine Kita, kommt schnell der Vorwurf der Rabenmutter. Und will Frau gar keine Kinder, ist sowieso alles verloren. Oder man vermutet, diesem Entscheid liege womöglich gar eine psychische Störung zugrunde.
Ich habe gerade ein spannendes Buch zum Thema entdeckt: "Die Uhr, die nicht tickt". Meine Suche nach Beiträgen mit christlichem Hintergrund habe ich frustriert abgebrochen, da kam fast unisono: Kinderkriegen als "Pflicht", kein Kinderwunsch als Ausdruck von purem Egoismus (wobei ich mich frage, wem gegenüber man dabei egoistisch sein soll?). Komischerweise wird das Kinderkriegen nie so in Frage gestellt wie das "Nicht-Kinderkriegen". Auch scheinen Frauen diesem Druck eher ausgesetzt als Männer. Mein Mann wird nie mit solchen Aussagen konfrontiert, obwohl er 10 Jahre älter ist als ich.
Es würde mich sehr freuen von Dir zu hören. Dein Buch und Deinen Blog lese ich sehr gern und bin Dir sehr dankbar für Deine wertvolle Arbeit!
Mit lieben Grüssen, Miriam, 27 Jahre
Liebe Miriam
Danke für Deine spannende Frage. Wie viele christliche Wertmassstäbe ist das „Kinderhaben“ wohl mehr eine gesellschaftlich-kulturell hergeleitete Norm und weniger eine biblische, wurde dann aber durch die christliche Gesellschaft dazu gemacht. Auch nicht gläubige Frauen müssen sich rechtfertigen für gewählte Kinderlosigkeit. Folglich muss diese Frage eng mit dem Frauenbild verknüpft sein. Die Frau ist und bleibt die Gebärerin, ohne sie entsteht zumindest bis dato kein neues Leben. Diese Tatsache ist in allen Kulturen mythologisch besetzt. Stammbäume werden in rund 13 Prozent der weltweit 1300 ethnischen Gesellschaften über die Linie der Frau, ihrer Mutter, deren Mutter (Großmutter) und so weiter zurückverfolgt. Im konservativen und im orthodoxen Judentum ist die Mutter entscheidend für die Religionszugehörigkeit: Jude oder Jüdin ist nur, wer Kind einer jüdischen Mutter ist. Auch im Staat Israel gilt amtlich nur als Jude oder Jüdin, dessen Vorfahrinnen bis zu vier Generationen zurück Jüdinnen waren, also in rein mütterlicher Linie aufsteigend bis zur eigenen Ururgroßmutter.
Du siehst, dass Du Dich rechtfertigen musst, nicht aber Dein Mann, ist tief verwurzelt in unserem Bewusstsein. Du kommst quasi Deiner Rolle als Stammmutter nicht nach. Bis vor wenigen Jahren konnte ja nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden, wie weit herum Männer Nachkommen gezeugt haben, wenn die Frauen das für sich behalten wollten. Dass Frauen heute eine echte Wahl haben, hat natürlich mit den modernen Möglichkeiten der Verhütung zu tun. Man kann diese als Segen oder Fluch sehen. Mit Bestimmtheit hat die sichere Verhütung den Frauen ein selbstbestimmteres Leben und eine Wahlfreiheit ermöglicht.
Dich interessiert jetzt, ob es eine göttliche Pflicht zum Kinderkriegen gibt. Einen göttlichen Auftrag dazu gibt es in 1. Mose 28a: Und Gott segnete sie, und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und vermehrt euch, und füllt die Erde, und macht sie euch untertan. Dieser Auftrag wird nochmals wiederholt nach der Sintflut in 1. Mose 9,1: Und Gott segnete Noah und seine Söhne und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und vermehrt euch und füllt die Erde! Interessanterweise wird dieser Auftrag aber im Neuen Testament nicht wiederholt. Im Gegenteil, da geschehen wundersame gesellschaftliche Veränderungen durch Jesus und Paulus. Da ist nun mehr von geistlichen Kindern und geistlicher Kindschaft die Rede als von irdischen Kindern. Aber auch die irdischen Kinder und die Frauen bekommen einen ganz neuen Stellenwert, vor allem im Vergleich zur nichtjüdischen Gesellschaft. Jesus holt die Kinder in die Mitte der Gesellschaft, segnet sie, gibt ihnen Zeit und Zuwendung, ermahnt dazu, ihnen Gutes zu tun und warnt davor, zu ihnen lieblos zu sein. Dazu stellt er sie als Beispiel hin, um ins Reich Gottes zu kommen. Die Frauen wiederum werden bei Jesus und Paulus zu gleichwürdigen Gefährtinnen.
Im römischen Reich waren Frauen und Kinder vor allem ein wirtschaftlicher Faktor, gleichgestellt dem Vieh und Sachen. Sie konnten ausgewechselt, verkauft und jederzeit getötet werden. Viele Kinder zu haben, war ein Gewinn. Eine fruchtlose Ehefrau war eine Katastrophe. Natürlich war Kinderlosigkeit auch für die jüdische Frau eine Schmach. Aber die jüdische Frau war in ihrer Kultur wertgeachtet. Schönes Beispiel dafür ist Hiob, der seine Töchter zu Erbinnen berechtigte: „Und so schöne Frauen wie die Töchter Hiobs fand man im ganzen Land nicht. Und ihr Vater gab ihnen ein Erbteil mitten unter ihren Brüdern (Hiob 42, 15).
Ich glaube, dass wir heute keine Vermehrungspflicht mehr von Gott haben. Aber wir dürfen Kinder haben! Wenn wir sie wollen, sollten wir sie früh genug bekommen. Denn nach dem 32ten Lebensjahr sinkt die Fruchtbarkeit der erstgebärenden Frau ziemlich rasch. Das wollen viele Paare nicht wahrhaben und denken, sie hätten alle Zeit der Welt und unzählige medizinische Möglichkeiten, den Kindern auf die Welt zu helfen. Doch dem ist nicht so. Kinder sind ein Segen und eine Aufgabe. Vor allem eine Aufgabe. Das ist vielleicht noch wichtig zu wissen, weil wir heute davon ausgehen, dass Kinder glücklich machen sollten. Laut Forschung machen erst erwachsene Kinder glücklich! Kinder sind in verschiedenster Hinsicht ziemlich aufwändig und im Gegensatz zu früher ein wirtschaftliches Risiko. Für schwere Zeiten der Verfolgung wünscht uns die Bibel sogar, dass wir nicht gerade schwanger sind oder ein Kind stillen (Mth. 24, 20). Ich persönlich denke jedenfalls, dass Paulus genau solche Beweggründe hatte, auf leibliche Kinder zu verzichten und vor allem geistliche Kinder zu zeugen. Er wollte für das Evangelium frei sein. Dass er dafür ebenfalls auf eine Frau verzichtete, war vielleicht auch dem Umstand geschuldet, dass Frauen damals beim Sex ziemlich sicher schwanger wurden.
Liebe Miriam, Du hast die Qual der Wahl in aller Freiheit. Jede Entscheidung FÜR etwas ist oft eine Entscheidung GEGEN etwas. Eine Entscheidung GEGEN etwas kann die Chance FÜR etwas sein. Und wie das so ist im Leben - man ist nicht vor Zweifeln gefeit, dass man sich falsch entschieden haben könnte. Paulus hat seine Ehe- und Kinderlosigkeit als Berufung gesehen. Aus freien Stücken.
Herzlich - Veronika
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