Liebe Veronika
Ich danke Dir für so ein offenes ehrliches Buch, was mir persönlich einige Fragen und Unklarheiten beantwortet hat. Schon lange verspürte ich den Drang, Dir zu schreiben, jetzt wage ich es. Ich bin 28 Jahre alt und vier Jahre verheiratet. Wir arbeiten beide voll und haben keine Kinder. Ich erlebte eine sehr behütete, konservative und dominante Erziehung.
Mein Problem ist, dass ich eine sehr aktive Frau bin und temperamentvoll. Ich liebe es, mit Freundinnen auszugehen, viel zu unternehmen, aber ich liebe auch ruhige Tage. Mein Mann ist das komplette Gegenteil. Er würde am liebsten jede freie Minute auf der Couch verbringen und fernsehen. Wochentags habe ich auch vollstes Verständnis dafür, nur an den freien Tagen nervt es mich. Ich rede viel mit meinem Mann und möchte auch nicht zu viel verlangen, aber es ändert sich einfach nichts. Zu Beginn unserer Beziehung war ich sehr engagiert und habe viel bewegt, aber jetzt ist bei mir die Puste raus.
Eine andere Schwierigkeit ist, mein Mann suchte vor der Ehe viel öfter den körperlichen Kontakt zu mir. Doch seit wir verheiratet sind, bettle ich darum, geküsst zu werden, dass er mit mir schläft, dass er mich begehrt, aber es ändert sich nichts. Nun habe ich auch das sein lassen. Wir schlafen sehr selten miteinander. Und für mich ist es grösstenteils unbefriedigend. Mein Mann kann sich auch nicht erklären, weshalb das so ist. Mittlerweile liebe ich meinen Mann nur als Freund, aber nicht mehr. Mir ist es furchtbar langweilig mit ihm. Wir haben keinen wirklichen Austausch. Die Gespräche verlaufen oberflächlich. Es kommt so gut wie nie vor, dass wir uns lange miteinander über etwas unterhalten.
Momentan empfinde ich die Ehe nur als harte Arbeit. Scheidung ist für mich kein Ausweg, da ich zu großen Respekt vor dieser Entscheidung habe und dessen Folgen. Ich hoffe sehr, dass ich von Dir einen Rat bekomme.
Liebe Grüße, Meredith
Liebe Meredith
Lust – Unlust, Kurzweil – Langeweile, es gäbe noch andere Paarungen in der Beziehung, über die sich wahlweise Frau oder Mann beklagen, je nach Wesen und Prägung. Ich gebe Dir gerne ein paar Gedankenanstösse dazu.
Das Allerwichtigste ist, dass Du schleunigst dazu übergehst, Dein Leben so zu gestalten, dass es Dich glücklich macht. Nicht Dein Mann macht Dich in erster Linie glücklich, sondern Du Dich selbst und Deine eigene Lebensgestaltung. Triff wieder Deine Freundinnen, Deine Familie, werde aktiv und unternimm etwas. Wenn Dein Mann mitkommen will – auch gut. Wenn nicht, lass ihn zu Hause. Lass ihn los. Dann erst kommt er dazu, sich selbst organisieren zu müssen, Ideen zu entwickeln und Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Verantwortung für andere kann erst aus der Verantwortung für sich selbst herauswachsen. Es gibt einen Bestseller von Eva Maria Zurhorst, der dazu sehr lesenswert ist. Er heisst: LIEBE DICH SELBST, UND ES IST EGAL, WEN DU HEIRATEST.
Du schreibst nichts über den Familienhintergrund Deines Mannes. Doch Ihr seid beide recht jung und habt sehr jung geheiratet. Es kann gut sein, dass Dein Mann emotional noch nicht so ganz erwachsen geworden ist. Leider sehe ich das heute ziemlich häufig und ist oft die Folge von jahrelangem behütet sein und nicht so richtig herausgefordert worden zu sein. Diese Tatsache, gepaart mit einem eher pragmatischen Charakter, kann eine lebenslustige Person wie Dich daneben schon irgendwann langweilen und aus der Haut fahren lassen.
Im Moment kannst Du nicht mehr sehen, was Dich an Deinem Mann einst angezogen hat. Aber da war was, sonst hättest Du ihn wohl nicht geheiratet. Oftmals ist es eben gerade das, was wir selbst nicht besitzen oder nicht so gut können. Doch mit der Zeit ärgert uns genau dies am anderen, was uns anfänglich so fasziniert hat. Vermutlich hast Du seine Ruhe, seine pragmatische Art, dass er Dich „erdet“, liebenswert gefunden. Versuche das wiederzufinden, indem Du ihn sein lässt, wie er ist. Der Sexualtherapeut David Schnarch nennt es „Differenzierung“. Sich auseinander dividieren, selbstständig werden, ein Eigenleben haben, Abstand gewinnen – und so sich wieder besser sehen können und schlussendlich auch wieder begehren, nicht nur sexuell.
In vielen Beziehungen ist der Antrieb für Aktivitäten ungleich verteilt. Der eine organisiert – der andere macht gerne mit. Beide sind glücklich mit ihrer Rolle – mindestens zu Beginn. Doch irgendwann findet der aktive Partner, der andere könnte sich jetzt auch einmal anstrengen und hört auf damit, sich zu engagieren. Doch der andere kann eben genau nicht. Weil ihm das nicht liegt, weil er es nicht gelernt hat. Weil er eigentlich zufrieden war, wies war. Je mehr Druck Du nun ausübst, desto lethargischer wird vermutlich Dein Mann. Nun kannst Du entscheiden, ob Du Deine Energie in die Veränderung Deines Partners stecken willst, oder in eine Lebensgestaltung die Dir gefällt.
Wenn Du Gespräche mit ihm möchtest, unterhalte Dich mit ihm, auch wenn er nicht viel dazu beiträgt. Wenn Du Nähe und Zärtlichkeit möchtest, gehe auf ihn zu und gib sie ihm, dann hast Du auch was davon. Zeige ihm Dein Begehren, vielleicht löst das auch bei ihm Begehren aus. Sorge für Deine Lust und zeige ihm, was Dich erregt. Werde eine gute Liebhaberin in dem Sinne, dass Du Dich und Deinen Körper gut kennen lernst. Wenn Du Sex unbefriedigend findest, setze Dich mehr damit auseinander, wie das mit Deinem Körper läuft. Buchtipp: KOMM WIE DU WILLST.
Gib Deinem Mann Nachhilfe im Sex, lerne ihn, einen guten Liebhaber zu sein. Äussere Deine Bedürfnisse klar (siehe Buch LIEBESLUST, Streiten und lieben nach allen Regeln). Und verabredet Euch zum Sex.
Ehe ist vor allem dann harte Arbeit, wenn wir uns auflehnen gegen die Lebensrealität und den anderen nicht mehr nehmen können, wie er ist. In allen Konflikten einer Ehe gilt immer: Mich kann ich verändern – den anderen nicht. Deshalb wünsche ich Dir neue Freude erstmal an Dir selbst und Annahme und Barmherzigkeit Deinem Mann gegenüber. Und dass Du die Liebe zu ihm wieder neu entdeckst und damit seine liebenswerten Seiten.
Neben allen diesen Gedanken möchte ich Euch eine professionelle Paarberatung ans Herz legen. Ohne gleich zu dramatisieren – ich habe zu viele Paare gesehen, denen man durchaus mit wenig Aufwand hätte helfen können, ihre Herausforderungen zu meistern, wären sie früh genug in eine Beratung gekommen. Empfehlen würde ich Euch eine systemische Beratung, in der Ihr auch Eure Herkunftsfamiliensysteme eingehend betrachten könnt und lernt, konstruktiv miteinander zu reden.
Mutmachende herzliche Grüsse - Veronika