Liebe Veronika
Mein Mann und ich sind über 10 Jahre verheiratet und haben 4 Kinder. Leider habe ich seit einigen Jahren viel mehr Lust als er. Sex findet immer auf meine Initiative hin statt und auch nur etwa ein- bis zweimal pro Monat. Ich leide darunter, dass er mich kaum zu begehren scheint. Unser Sex ist dann jeweils zwar gut, aber ich wünschte mir mehr Initiative von seiner Seite und auch etwas mehr Offenheit im Bett. Es ist ein doofes Gefühl, immer den ersten Schritt machen zu müssen. Er sagt einfach, er habe nun mit knapp 40 weniger Lust als früher.
Danke für Deine Antwort und liebe Grüsse. Katja, 37 Jahre
Liebe Katja
Deine Frage ist der Dauerbrenner schlechthin und kommt in Abwandlungen immer wieder zu mir. Siehe auch den Blog von letzter Woche. Mit der Lust und der Unlust ist das so eine Sache nach ein paar Jahren. Und eben nicht nur ein Frauenthema, sondern sehr wohl und weit verbreitet ein Männerthema. Grad wenn Dein Mann kein Testosteronbolzen ist, wird er die natürliche Abnahme seiner Libido mit zunehmendem Alter spüren. Für viele Männer ist das überhaupt nicht schlimm. Sie nehmen diese Tatsache manchmal eher pragmatisch und irgendwie als normal hin. Insbesondere in einer christlichen Kultur, die sowieso ein kritisches oder zwiespältiges Verhältnis zur Sexualität hat. So nach dem Motto: "Na endlich ist Ruhe."
Doch natürlich nehmen wir Frauen es persönlich, wenn wir meinen, unser Mann begehre uns nicht mehr. Wir denken, es hätte etwas mit unserer Attraktivität und vielleicht sogar mit mangelnder Liebe zu tun. Doch neben der Libido spielt eben auch der Charakter eine grosse Rolle und auch die Umstände des Lebensalltags. Vier Kinder, Beruf und Haushalt, vielleicht noch Vereine oder die Gemeinde - viel Zeit für Lust bleibt da nicht mehr übrig. Männer sind genauso zu müde, zu ausgelaugt, zu angespannt, zu gestresst, zu sehr herausgefordert, zu lustlos, zu aufopfernd, zu wenig bei sich selbst wie Frauen. Dazu kommen alle Ablenkungen durch die Medien. Und Sex ist so allgegenwärtig, dass selbst Männer an Überdruss leiden. Das alles setzt der Lust ziemlich zu. Sex in Beziehungen wird immer weniger. Wenn vor Jahren Paare sagten, sie hätten 1-2 Mal pro Woche Sex, sagen sie heute, Sex finde noch 2-3 Mal pro Monat statt.
Seit sich die Rollenbilder verändern, hin zu mehr Gleichstellung, können Männer ihre Lustlosigkeit mehr zulassen und zugeben. Im Gegenzug lassen dafür Frauen heute viel mehr Lust und Begehren zu, wollen Sex, fordern Sex, geniessen Sex, sind sexuell aktiver und initiativer. Nur unser Denken hinkt da manchmal noch hinterher. Auch in Bezug darauf, wer die Initiative ergreifen soll, wer verführen und sich bemühen muss.
Dass Dein Mann keine Initiative ergreift, muss nicht heissen, dass er Dich nicht begehrt. Vor allem nicht, weil Euer Sex ja schön ist. Ich würde eher wie schon angetönt vermuten, dass neben dem Alter und dem beruflichen und familiären Engagement Eure Wesensunterschiede eine Rolle spielen. Ich habe viele "umgekehrt" gepoolte Paare in der Beratung und ich kenne es aus persönlicher Erfahrung. Es sind die Paare, wo die Frau um einiges initiativer ist als der Mann. Und zwar in den meisten Lebenslagen und von Anfang der Beziehung an. Es ist einfach gegeben.
Es gibt die „Gleich-und-gleich-gesellt-sich gern“-Paare und die „Gegensätze-ziehen-sich-an“-Paare. Das ist an und für sich einfach Tatsache und kein Problem. In unseren Köpfen haben wir kein Problem damit, wenn der Mann initiativ ist. Das scheint uns richtig. Aber sobald die Frau es ist, finden wir es irgendwie verkehrt. Dafür kennt der Volksmund ja die entsprechenden Redewendungen: „Sie hat die Hosen an“, „Er ist unter der Knute“, „Sie ist ein Rääf“, „Sie ist dominant“, „Er ist ein Waschlappen“, „Er muss nach ihrer Pfeife tanzen“.
Dabei vergessen wir, dass wenn sich Zwei finden, oft unbewusste Bedürfnisse, Vorstellungen, Erfahrungen und Vorbilder eine Rolle spielen. Wir suchen vielleicht, was wir schon kennen, oft jemanden, der uns ergänzt. Es gibt nicht wenige Männer, die eine starke Frau wählen. Die mögen das. Das heisst nicht, dass sie selbst schwach sind. Aber sie spüren vielleicht instinktiv, dass sie einen „Motor“ brauchen, weil sie selbst nicht mit überschäumenden Ideen und/oder Umsetzungsenergie gesegnet sind. Suchen sich ebenso gelagerte Frauen einen „Männermotor“, verschwenden wir keinerlei Gedanken daran, ob da was falsch ist.
Doch im Laufe der Jahre und steigendem Frustpotential fallen Frauen leicht den herkömmlichen Rollenvorstellungen zum Opfer. Dann höre ich Sätze in der Beratung wie, „Aber er ist doch das Haupt der Familie“ – „Er hätte doch Verantwortung für unsere Ehe“ – „Er sollte doch der geistliche Herr im Hause sein“ – „Ich habe das jetzt 10 Jahre lang gemacht, jetzt ist er dran“ – „Jetzt will ich nicht mehr die mit den Ideen, die mit der Initiative sein“. Und wenn sich Frauen dann zu verweigern beginnen , kippt das ganze Gefüge aus dem Gleichgewicht.
Ich will damit nicht sagen, dass immer alles beim Alten bleiben muss, und dass wir uns nicht verändern sollen. Aber was ist daran schlimm, liebe Katja, dass Du den ersten Schritt zum Sex machst, wenn Du damit zu Deiner Befriedigung kommst und Ihr Euch nahe sein könnt? Es Euch gut tut und Ihr es schön findet? Was wäre so schlimm, wenn das praktisch immer so ist? Weil Ihr nun einmal seid, wer Ihr seid? Weil man sich nicht einfach so ändern kann? Weil das möglicherweise auch der Grund ist, weshalb Ihr Euch gewählt habt? Was ist so schlimm daran, wenn Dein Mann erst merkt, dass Ihr ja Sex haben könntet, wenn Du ihn anfasst, streichelst und küsst – solange er dann fröhlich mit dabei ist? Was ist so schlimm daran, wenn Du die Initiative für Sexexperimente ergreifst, indem Du einfach machst – weil er von sich aus gar nicht auf die Idee kommt? Wenn Dein Mann mit weniger zufrieden ist als Du – who cares? Ist doch völlig egal.
Und ergreife die Initiative, über Euer Sexleben oder Euer Leben überhaupt zu sprechen, im Sinne von: „Was beschäftigt Dich?“ – „Was beschäftigt mich?“ – „Wie geht es Dir?“ – „Wie geht es mir?“ – „Was wünschst Du Dir?“ – „Was wünsche ich mir?“. Dazu gibt das Büchlein von Ulrich Clement THINK LOVE gute Ideen.
Und nun doch noch einen Rat an Deinen Mann. Regelmässige Orgasmen und Ejakulationen erhalten die Erektionsfähigkeit und die Libido am Leben. Das ist wichtiger, je weniger diese von selbst funktionieren. Lass Dich durch Deine Frau motivieren, Dich mit Deiner Sexualität zu befassen und Dich und Deinen Körper tiefer kennen zu lernen. Dadurch kannst Du Dich auf Jahre hinaus als Mann in Deiner männlichen Sexualität ganzheitlich, frei, glücklich und zu Hause fühlen. Das Buch für den Mann von Bernie Zilbergeld heisst DIE NEUE SEXUALITÄT DER MÄNNER.
Herzliche Grüsse – Veronika