Hallo Veronika
Die Frage ist mir unangenehm, und trotzdem beschäftigt mich das Thema stark: Wie gehe ich als Singlefrau mit meinen sexuellen Bedürfnissen um? Seit einigen Monaten habe ich eine Frau kennengelernt, die mir mittlerweile eine sehr gute Freundin ist. Einerseits im Gespräch, aber auch im Gebet und im miteinander Sein, verstehen wir uns sehr gut. Was mich stark verunsichert - mein Körper reagiert auf ihre Zärtlichkeiten.
Für mich ist klar, ich möchte mein Leben nicht mit einer Frau verbringen, sondern mit einem Mann und auch gerne eine Familie haben, was im Moment leider nicht vorhanden ist. In meiner Herkunftsfamilie wurde Zärtlichkeit nicht gross gelebt, und ich mag mich an kein miteinander Kuscheln erinnern...
Warum reagiere ich auf meine Freundin so körperlich? Sollte ich auf Abstand gehen? Wie kann ich einen guten Umgang mit meiner Sexualität finden, wenn ich sie nicht wirklich ausleben kann? Ich merke, dass es mir schwerfällt, diese Fragen zu stellen, da in christlichen Kreisen nicht gross darüber geredet wird... Ich hoffe Du kannst mir weiterhelfen...
Dankeschön und Gruss von Noemi, 33 Jahre
Liebe Noemi
In uns allen ist der Erregungsreflex angelegt, den wir nicht kontrollieren können. Dieser bewirkt, dass vor allem "Mann" auf optische oder auch andere Reize unwillkürlich reagiert mit einer Erektion. Erst mit zunehmendem Alter reagiert der Reflex nicht mehr so stark. Sowohl bei Männern wie auch bei Frauen ist diese körperliche Reaktion nicht kontrollierbar. Aber weil bei der Frau die unmittelbare Reaktion äusserlich nicht sichtbar ist, bemerkt sie diese oft nicht. Vielleicht stellt sie erst später beim Toilettengang fest, dass da viel Sekret ist. Selbst bei unangenehmen sexuellen Reizen, wie abstossenden Bildern oder sogar Übergriffen und Vergewaltigung, kann der Körper der Frau mit Erregung reagieren und in der Folge die Vagina feucht werden.
Optische Reize, ausgelöst durch Liebes- oder Sexszenen in Filmen, in der Fantasie ausgelöste Reize durch Liebes- oder Sexszenen in Büchern oder Gedanken, zeigen uns auf, dass wir sexuell ansprechbar sind. Was schlicht und ergreifend gut ist. Es bedeutet, ich kann sexuelles Begehren empfinden, welches für das Ausleben und lustvoll Empfinden von Sexualität unbedingt notwendig ist. Diese körperliche Reaktion heisst nicht zwingend, dass ich Sex will. Den Reflex können wir nicht kontrollieren, aber natürlich, wie wir darauf reagieren, was wir darauf folgen lassen.
Wenn Du mit Deinem Körper auf die Zärtlichkeiten Deiner Freundin reagierst, heisst das im Minimum, dass Du emotional und genital berührt davon bist, aber noch nicht zwingend, dass Du sie angenehm empfindest. Aber vielleicht tust Du das ja. In jedem Menschen stecken homoerotische Anteile. Das hören nicht alle Leute gern. Aber gerade homophobe Menschen sind es oft deshalb, weil sie mit ihren eigenen homoerotischen Gefühlen im Widerstreit sind. Das heisst nicht, dass man homosexuell ist. Aber in Ausnahmesituationen des Lebens kann es schon passieren, dass man auf diese Weise Bedürfnisse oder eben auch Defizite stillen möchte. „Aimée und Jaguar“ ist ein sehr interessanter Film, der eine solche besondere Situation veranschaulicht.
Ich denke schon, dass ein langes Singleleben eine dieser Ausnahmesituationen darstellen kann. Wir alle haben seelische, geistige, emotionale, körperliche, sexuelle und noch ganz viele andere Bedürfnisse. Nicht immer können diese gestillt werden oder wollen gestillt werden. Wir müssen auch mit unbefriedigten Bedürfnissen und Mangel in unserem Leben klar kommen. Man kann damit umgehen, indem man den Mangel aushält, kompensiert oder sublimiert. Siehe auch den BLOG-Beitrag über SINGLES UND IHR SEXLEBEN.
Es liesse sich aus Deiner Herkunftsgeschichte herauslesen, dass Du in Deiner Freundin etwas findest, was Dir als Kind gefehlt hat - Nähe, Körperlichkeit, Zärtlichkeit. In meinem Buch LIEBESLUST beschreibe ich, wie wichtig für uns Menschen Berührungen sind, und die Haut eines der wichtigsten Sinnesorgane ist. Das Kleinkinder ohne Hautkontakt sterben. Nur weil wir als Erwachsene daran nicht mehr in dieser Weise zugrunde gehen, heisst das noch lange nicht, dass wir diesen Kontakt nicht brauchen. Wir brauchen Zärtlichkeiten unbedingt. Viele alleinstehende Menschen leiden an emotionaler und körperlicher Liebes-Unterversorgung. Ganz besonders auch zölibatär lebenden Menschen macht dieser Verzicht sehr zu schaffen, was eine Untersuchung zu Tage gefördert hat.
So gesehen ist die Selbstliebe, Selbstbefriedigung oder Solosex, wie auch immer man sie nennen will, eine wichtige Quelle, um Bedürfnisse zu stillen. Gerade, um nicht aus einem immer grösser werdenden Mangel heraus sich plötzlich auf Dinge einzulassen, die man eigentlich gar nicht will.
Liebe Noemi, ich denke, wenn Du diese Gefühle, Empfindungen und Reaktionen ohne Schuldgefühle zulassen und geniessen kannst, wirst Du Dich wieder entspannen und vermutlich beruhigen sich Deine starken Emotionen wieder. Verliebtheiten kommen und gehen. Das kann jedem Menschen zu jedem Geschlecht hin, zu jeder Zeit, in jedem Zivilstand passieren. Die Frage ist ja nur, ob Du daraus mehr werden lässt oder nicht. Und Du musst ja nicht mehr daraus werden lassen.
So hoffe ich, dass ich Dir mit meinen Zeilen etwas mehr Klarheit und Frieden gebracht habe.
Herzliche Grüsse – Veronika