Liebe Veronika
Wie denkst Du darüber? Ist man vor Gott verheiratet, wenn man zusammen Sex hat?
Andrea, 19 Jahre
Liebe Andrea
Nein, das denke ich persönlich nicht. Einfach deshalb, weil Ehe viel mehr ist als Sex. Sex haben ist einfach Sex haben. Punkt. Für mich besteht eine Ehe aus einem Commitment, einer gegenseitigen inneren Verpflichtung zu dieser Verbindung. Zudem verstehe ich Ehe als eine ernsthafte, gleichberechtigte und auf Augenhöhe stattfindende Beziehung, in der wir das Beste für beide suchen und Verantwortung füreinander übernehmen (siehe auch „Wann bin ich bereit, eine feste Beziehung einzugehen“). Wenn wir diese innere Verbindung an dem messen, wie Gott sich uns gegenüber verpflichtet hat, dann muss sie zudem auch damit fertig werden, dass wir uns enttäuschen, aneinander schuldig werden und zornig übereinander sein können. Ich glaube, dass Gott eine solche bedingungslos liebende, verpflichtende und verzeihende Beziehung als Ehe gedacht hat.
Zu diesem inneren Commitment gehört dazu auch ein äusseres, um eine Beziehung als „verheiratet“ zu sehen. Die Bräuche und Sitten dafür finden wir in allen Zeiten und Kulturen. Ihre Merkmale sind vor allem anwesende Zeugen und die Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit. In irgendeiner Form wird die Verbindung eines Paares öffentlich gemacht. Viele Menschen zelebrieren dies, indem sie sich von Gott und Menschen den Segen für ihren Eheschluss erbitten. Seit wenigen hundert Jahren ist zudem die Ehe eine Verbindung, die der Staat durch Ehegesetze reguliert und schützt, wenn man sie vor dem Staat schliesst. Aus dem Sex allein kann niemand einen gesetzlichen Anspruch in Bezug auf den anderen geltend machen. Nur ein Kind, das aus dieser sexuellen Beziehung entsteht. Wenn Du Dich dafür interessierst, findest Du hier eine spannende Abhandlung über die Geschichte der Ehe.
In der Bibel finden wir keine Stelle, die aussagt, dass man getraut werden oder einen Vertrag unterschreiben muss, um verheiratet zu sein. Oft war tatsächlich der Sex der Beginn der Ehe. Selbst Luther scheint das so gesehen zu haben. Er schreibt: „Wenn ein Bub zu seinem Mädel hinaufsteigt in die Kammer, und die beiden sind sich einig vor Gott, so beginnt in dem Augenblick die Ehe.“ Diese Sitte finden wir unter anderem in Bräuchen, die Kiltgang oder Fensterln hiessen. Sie waren eine Form der Brautwerbung und dem sich näher kommen und kennenlernen, manchmal eben auch Sex haben. Diese Bräuche, die übrigens die Kirche damals auch nicht gerne sah, erübrigen sich heute, weil man sich in der Öffentlichkeit als Liebespaar zeigen darf.
Du siehst, Ehe hat auch viel mit der jeweiligen Lebenswelt oder Kultur zu tun, in der wir leben. Fühlst Du Dich der Kultur der christlichen Gemeinde verpflichtet, wirst Du wenig Spielraum für eine Ehe finden, die nicht mit kirchlicher und standesamtlicher Trauung beginnt, selbst wenn sie in der Qualität diesem inneren Commitment der von Gott gedachten Ehe entspricht. Für mich wäre aber durchaus aufgrund unserer heutigen Lebenswelt zu prüfen, ob nicht auch andere Formen des Zusammenlebens von Gott den Segen erhalten. Und zwar deshalb, weil unsere Kultur diese zusätzlichen Formen als legale, öffentlich bezeugte Formen des Zusammenlebens sieht, diese also eine Sitte unserer Zeit sind.
Liebe Andrea, ich hoffe, dass ich Dir Deine Frage so beantwortet habe, dass Du auch auf die vermutlich zwischen den Zeilen noch gestellten, selber eine Antwort finden kannst. Herzlich - Veronika