«Liebe Weiber, stellt euch hinten an! Es gibt wichtigere Themen!»
… ist ein Zitat von Christiane Florin aus ihrem soeben veröffentlichten Blog mit dem Titel MONSIEUR GOTT UND SEINE TÖCHTER ODER EINE KIRCHE SUCHT IHREN KERN. Ihre Aussage: Die gegenwärtige Zauderei der christlichen Männer um das Gleichstellungsthema und um die Frauenfrage ist ein Kniefall vor dem patriarchalen Zeitgeist.
Die Autorin des Buchs WEIBERAUFSTAND bezeichnet sich selbst als Katholikin und Zweiflerin und ist Radioredakteurin bei Religion und Gesellschaft beim Deutschlandfunk in Köln. Zur gegenwärtigen Zauderei der christlichen Männer schreibt sie: «Keiner der Herrn mit Hut und Mütze ermannt sich und bringt den schlichten Satz über die Lippen: Frauen und Männer sind gleichberechtigt, auch in der katholischen Kirche. (…) Sie (die Frauen) sind zwar vom Quer- zum Längsthema geworden, aber von ihnen wird - wie immer - Bescheidenheit erwartet. Gleichberechtigung gilt als unverschämtes Maximalziel.»
So denken nicht nur katholische Männer. Es lohnt sich, den Poster-Boys der evangelikalen Glaubenswelt (aber auch besonders ihren angesagten katholischen Mitstreitern) auf den Zahn zu fühlen und ganz genau zuzuhören, was sie sagen oder nicht sagen. Die Infragestellung lautet nicht nur, was tun sie für das Anliegen der Gleichberechtigung und der Gleichstellung der Frau? Viel brisanter und wichtiger ist die Frage, was tun sie eigentlich ganz bewusst nicht – und aus welchen Motiven. Christiane Florin nennt eines:
«Wer es formuliert (das Anliegen), gefährdet das grosse, kleine Ganze.»
Doch was ist das grosse, kleine Ganze? Wenn man genau hinhört, ist damit die EINHEIT DER GLÄUBIGEN gemeint. Wir Frauen sollten die Ungeheuerlichkeit dieses Gedankens unbedingt zu Ende denken. Unsere Gleichstellung wird auf dem Altar der Einheit der Gläubigen geopfert. Auf dem inner-kirchlichen, dem inner-denominationalen, dem inner-evangelikalen, dem inner-freikirchlichen, dem inner-ökumenischen Altar. Geopfert der Allianz der Männer, des Church-Boys-Club und seiner Bro-Kultur, den Funktionären, welche die christliche Welt regieren und verwalten. Besonders die in verführerisch modernem Gewand daherkommende ökumenische Allianz macht es nötig, dass uns der Weiberaufstand in der katholischen Kirche als evangelische, reformierte Frauen sehr wohl etwas angeht. Es ist auch unser Kampf.
Die Einheit wird bezeichnenderweise nicht nur in Bezug auf die Frau, sondern aktuell ganz besonders zu sexualethischen Fragen dauerbeschworen. Doch diese Bezüge sind grundfalsch. Unsere Einheit beruht auf dem gemeinsamen Glaubensbekenntnis zu Jesus Christus. Ich führe in meinem Buch ENDLICH GLEICH! den unmittelbaren Zusammenhang von Sexualität und Frauenfrage aus. Wenn Frauen in der Gemeinschaft der Gläubigen keinen gleichberechtigten Platz kriegen, wird auch die Sexualität ewiger Stein des Anstosses bleiben. Oder in der Umkehrung (bzw. logischeren Reihenfolge) geradezu absurd anzuhören: Wenn Sexualität ewiger Stein des Anstosses bleibt, werden die Frauen in der Gemeinschaft der Gläubigen nie einen gleichberechtigten Platz kriegen. Doch Frauen allen Alters: Wir müssen es überhaupt als unser Problem und als ein gemeinsames Frauenproblem begreifen!
Frauensolidarität war schon immer auch ökumenisch, das zeige ich im Buch ENDLICH GLEICH! auf. So nebenbei - das Buch wird übrigens auch ökumenisch vereint totgeschwiegen und seine Verbreitung dem sozialen Frieden geopfert - nachdem ein katholisches Rumpelstilzchen getobt hat - just saying. Die Frauensolidarität braucht grundsätzlich einen Erkenntnisschub, den ich im Buch folgendermassen beschreibe: «Im Laufe des Schreibens von diesem Buch fiel mir etwas auf. Nämlich, wann im Laufe der Geschichte die Frauensolidarität am besten funktionierte: In der Not! (…) Es wäre tragisch, wenn christliche Frauensolidarität nur deshalb nicht funktioniert, weil es uns zu gut geht. Weil die einen haben, was sie wollen, und das Schicksal anderer Frauen überhaupt nicht interessiert, auch nicht die Ungerechtigkeit in der Welt. Es sind beschämende Gedanken, denen wir Frauen uns unbedingt stellen sollten.»
Deshalb möchte ich alle Frauen, aber ganz speziell die jungen Frauen und die reformierten Frauen, aufrütteln. Jede Generation muss auf dem Erbe der vorangehenden Generation aufbauen, sonst gehen deren Errungenschaften wieder verloren. Ausruhen bedeutet Rückschritt. Wir können uns nicht auf den Lorbeeren unserer Vormütter ausruhen und das Erreichte als Selbstverständlichkeit betrachten und mehr als das Erreichte nicht mehr wollen. Wenn sich Frauen heute nicht mehr für (kirchliche) Emanzipation engagieren und sagen, «Ach, ist doch alles kein Problem», dann vergessen sie, dass es ein Problem war und durch Ignoranz wieder zum Problem wird und in unserer christlichen Lebenswelt ein Problem bleibt. Wir sollten uns die Freiheiten, die wir erkämpft haben oder die andere für uns erkämpften, verteidigen.
Wir sind alle Maria
Unter diesem Titel fragt Petra Bahr im «BREF», dem Magazin der Reformierten No 14/2019, weshalb es evangelischen Frauen so schwerfalle, sich mit den Protesten von Maria 2.0 zu solidarisieren. Ihr Artikel erschien zuerst in Christ & Welt, den Extraseiten der ZEIT für Glaube und Gesellschaft. Petra Bahr ist Publizistin und Regionalbischöfin der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover. Sie beschreibt, wie sie an einem ökumenischen Anlass beschämt realisiert, dass die keine Ahnung hat: «Nicht von der Wut und der Trauer, nicht von der Fähigkeit weniger Frauen, innerhalb kürzester Zeit sehr viele zu sein, die einander in der Kirche halten, einer Kirche, die sie lieben und in der sie doch keinen Ort mehr finden mit ihrer Sehnsucht nach Gleichheit.»
Sie zitiert einen evangelischen Kollegen, der die Abwehr des Diakonats der Frau durch den Weihbischof in seiner Nachbarschaft rechtfertigt: «Die deutschen Katholiken stehen ja nicht allein, sie sind Teil der Weltkirche. Da muss man Rücksicht nehmen und mehr Verständnis haben.» Bahr bringt auch ein Beispiel, welches bestätigt, wie eng die sexuellen Vorstellungen mit dem Bild der Frau verknüpft sind. So soll ein Kirchenvorstand angesichts der Pastorin, die ein Kind erwartete, gefragt haben: «Eine Schwangere, die die Einsetzungsworte spricht? Geht das denn?» Sie schreibt dazu: «Dass die Reinheit des Herzens zum alleinigen Angelpunkt des Christentums geworden ist, gerät auch im 21. Jahrhundert schnell in Vergessenheit, wenn es um Kirchenämter geht.»
Sie nennt das ökumenische Verschweigen der konfliktheraufbeschwörenden Unterschiede aus Angst vor wechselseitiger Verstimmung «Unterhak-Ökumene mit medialer Wirkung».
Sie beschreibt die Mechanismen von «Weiber, es gibt wichtigere Themen» ganz praktisch: «Was bedeutet das Lehramt schon, wenn man gemeinsam für einen humanen Umgang mit Geflüchteten kämpft, Caritas und Diakonie zusammen Projekte auflegen und die schrumpfende Gruppe kirchlich gebundener Abgeordneter in den Parlamenten nicht mehr nach ihrer Konfession, sondern in ihrem Christsein angesprochen wird. Gemeinsame Sommerempfänge, gemeinsame Gottesdienste auf öffentlichen Plätzen (gemeinsame riesige Jugendkonferenzen A.d.A.) – wer mag schon angesichts der tiefgreifenden Krise verfasster Kirchlichkeit am Amtsverständnis herumkritteln?»
In besagtem Artikel lesen wir das Zitat einer Maria-2.0-Vertreterin, die laut Petra Bahr keine Sekunde einen Zweifel aufkommen lässt, dass sie alle theologischen Argumente kennt: «Wir wollen eine Debatte und wir wollen an ihr teilnehmen.» Bahr erzählt, wie an sie als evangelische Gesprächspartnerin auf ökumenischen Podien von katholischen Geistlichen regelmässig die Frage adressiert wird: «Warum verliert ihr so viele Kirchenmitglieder, obwohl ihr Frauen im Pfarramt zulasst?» Sie findet die Frage deshalb verstörend, weil damit suggeriert wird, dass mit Frauen im geistlichen Amt der Verfall der Kirche noch beschleunigt wird. Sie fragt: «Was passiert, wenn die Säulen brüchig werden, auf denen die Gemeinden stehen? Säulen, die nur bei genauerem Hinsehen als weibliche Wesen erkannt werden? (…) Auch in den evangelischen Gemeinden ruht viel auf den Schultern dieser Frauen. Oft sind sie die Unscheinbaren. Dann und wann werden sie sogar wegen dieser Unscheinbarkeit gelobt. Doch Unscheinbarkeit ist kein Selbstzweck. Das haben die katholischen Frauen verstanden. Deshalb versuchen sie, das zu tun, was sie sich oft ein Leben lang verboten haben: laut zu sein, insistierend, ruhelos, zweifelnd, ungeduldig.»
Wir alle - gläubige Frauen und emanzipierte Männer - sollten uns nicht nur solidarisieren mit allen Frauen der christlichen Lebenswelt, wir sollten aufstehen und aktiv etwas tun für die Gleichstellung der Geschlechter. Packen wir es an!
«Wir sind die frommen, zornigen alten und jungen Frauen, Wir sind klug. Wir lieben Christus und die Menschen. Wenn wir nicht mehr kommen, was dann?»
aus “Wir sind alle Maria”