Hallo Veronika
Schon seit längerer Zeit fühle ich mich von meiner Frau (55) sexuell aufs Abstellgleis geschoben. Es gibt seit einer gefühlten Ewigkeit keinen Sex mehr. Sie hat immer fadenscheinige Ausreden und dadurch wird unsere Beziehung schwer belastet. Welche Hilfen und Tipps kannst Du anbieten?
Beste Grüsse, Victor, 59 Jahre
Lieber Victor
Hast Du es Deiner Frau schon mal gesagt, wie Du Dich fühlst - abgeschoben? Es ist etwas vom Schwierigsten in einer Paarbeziehung, miteinander darüber zu reden, was einen zutiefst beschäftigt. Es ist schon schwierig genug, seine eigenen Bedürfnisse dem Partner mitzuteilen. Aber noch schwieriger wird es, einander zu sagen, wo wir in der Beziehung leiden. Zwischen Deinen Zeilen lese ich, dass es Euch, wie übrigens vielen anderen Paaren auch, nicht gelungen ist, eine intime Kommunikation über die lange Dauer Eurer Beziehung aufrecht zu erhalten oder überhaupt zu entwickeln. Doch Kommunikation ist der Schlüssel, damit es beim Sex oder sowieso in der Beziehung klappt. Jemand mit viel Menschenkenntnis und Bucherfahrung sagte mir kürzlich: „Ich finde Dein Buch toll, wirklich, aber ich befürchte, dass einige Paare auf ein weiteres Buch angewiesen wären, das ihnen aufzeigt, wie man denn über Sex oder überhaupt miteinander spricht.
Aus Deinen Zeilen meine ich auch herauszuhören, dass sich bei Euch einiges an Frust angestaut hat über die Zeit. Es geht beim Sex nie nur um Sex. Du kannst davon ausgehen, dass Deine Frau ebenfalls nicht ganz glücklich in Eurer Beziehung ist. Darüber und über Dein eigenes Unglücklichsein solltet Ihr unbedingt sprechen. Oft schafft man das nach einer gewissen Zeit der Sprachlosigkeit aber leider nicht mehr alleine. Wenn das bei Euch so sein sollte, holt Euch Hilfe von aussen.
Wenn Ihr Euch grundsätzlich gut gesinnt seid und einfach Anregung braucht, um über Sex zu reden, dann könnten Euch folgende zwei Bücher helfen:
- THINK LOVE – das indiskrete Fragebuch – von Ulrich Clement
- DAS PAAR-DATE – miteinander über alles reden – von Caroline Fux und Joseph Bendel
Oder lest Euch gegenseitig mein Buch LIEBESLUST vor und wendet das Gelesene ganz praktisch an.
Eine schöne Beziehung und offene Gespräche sind nicht gratis. Wir brauchen die Fähigkeit, uns mit dem anderen zu verbinden, ihm Gegenüber zu sein, uns mitzuteilen und mit einer gewissen Intensität zu kommunizieren, zu der auch konstruktive Auseinandersetzungen gehören. Jede Form intimer und intensiver Kommunikation lässt ein Paar sich gegenseitig zu engen Vertrauten werden. Sex schließlich ist die intimste Form von Kommunikation. Deshalb scheitern viele Paare, die nicht miteinander sprechen können, auch in ihrer Sexualität.
Auch wenn es dabei mal zum Streit kommt - so ganz nebenbei - richtig streiten macht den Sex besser! Richtig streiten gibt Reibung, und Reibung erzeugt Wärme. „Richtige“ Auseinandersetzung bringt Innigkeit und Lebendigkeit. „Richtige“ Auseinandersetzung hat mit einer harmonischen Leidenschaft zu tun, die nicht destruktiv ist. Glückliche Paare streiten um dieselben Dinge wie unglückliche Paare. Nur führen diese Konflikte beim glücklichen Paar nicht zum trennenden Krach oder zum Rückzug. Glückliche Paare reagieren mit Einsicht, Entgegenkommen und Angeboten. Sie haben gelernt, miteinander auszuhandeln, zum Beispiel auch den Sex. Sie können besänftigend kommunizieren, weil sie wissen, dass ihre eigenen Gefühle nicht die ganze Wahrheit sind. Sie können um Verzeihung bitten auf eine Art, dass der andere diese annehmen kann. Sie stehen einander kritisch gegenüber, was manchmal nicht ohne Vorwürfe möglich ist. Aber wer lernt, Vorwürfe als wichtigen Hinweis für persönliche Entwicklungen zu sehen, kann sie für sich und die Beziehung fruchtbar machen.
Heute kennen viele Menschen wichtigste Gesprächsregeln wie Ich-Botschaften, keine Vorwürfe, keine Schuldzuweisungen und keine Interpretationen. Doch meistens fehlt es daran, dass die eher schwierigen Gespräche wirklich stattfinden. Dass dafür Rahmen und Zeit geschaffen werden. Denn selbst in der Kommunikation geübte Paare drücken sich, wenn es darum geht, den Dingen genauer auf den Grund zu gehen. Deshalb mein Tipp an Dich: Verschone Dich selbst oder Deine Frau nicht länger vor unangenehmen oder schmerzhaften Ehrlichkeiten. Du brauchst nicht den Holzhammer hervor zu holen, sondern den Stier bei den Hörnern zu packen. Sprich zu Deiner Frau – stelle ihr Fragen. Fragen zu Eurem Sexleben bzw. dem nicht existierenden Sexleben. Weisst Du, was Deine Frau an Dir oder Eurer Beziehung stört? Worüber sie ebenfalls nicht glücklich ist? Du kannst nicht einfach so wissen, was in ihr vorgeht. Und ebenso, wie wir verlernen können, darüber zu sprechen, wie es uns geht, was uns beschäftigt, woran wir leiden, können wir es auch wieder erlernen. Aber Ihr müsst es tun. Und letztendlich auch den Sex einfach wieder mal tun.
Ich wünsche Dir viel Mut für den ersten Schritt.
Herzliche Grüsse - Veronika