Liebe Veronika
Mich beschäftigt die Frage, weshalb es Transgender Menschen gibt. "Es ist von Gott nicht so gewollt", damit möchte ich mich nicht zufrieden geben. Es interessiert mich sehr, was der Glaube, das Christentum dazu sagt.
Ich meine, früher gab es das wahrscheinlich nicht, und ich denke, dass darüber nichts in der Bibel steht, oder? Denn es gibt ja noch nicht so lange die Möglichkeit einer Operation. Und was wäre, wenn ein Christ sich operieren lassen wollte? Wäre das in Ordnung? Der Gedanke, dass jemand unglücklich ist in seinem Körper, macht mich traurig, und ich kann’s mir nicht vorstellen, wie schwierig es sein muss, wenn man schon im Kindesalter so empfindet. Wie kann Gott das zulassen?
Liebe Grüsse Gaby
Liebe Gaby
Du stellst ganz schwierige Fragen. Weder die Menschheit noch die Christenheit können diese bis jetzt schlüssig beantworten, weshalb sollte ich das können? Allein die Frage „weshalb lässt Gott das zu?“ ist eine der schwierigsten Fragen überhaupt. Weshalb lässt er all das Leid auf der Welt zu? Dass Menschen einander ausbeuten auf alle erdenkliche Art und Weise? Wenn sich eine Frage nicht beantworten lässt, ist manchmal vielleicht auch die Frage falsch gestellt.
Warum lässt Gott das zu?
Gott hatte ursprünglich einen ganz perfekten Plan, doch den haben die Menschen vereitelt. Deshalb fasste Gott einen neuen Plan, der aber scheinbar alles andere als perfekt ist, im Sinne von makellos. Dieser Plan kostete sogar seinem Sohn das Leben. Gottes neuer Plan hat nicht das perfekte Leben auf Erden im Blickfeld, sondern die Erlösung der ganzen Schöpfung und ihre ursprünglich gedachte Vollendung, aber erst in der Ewigkeit. In diese Vollendung nimmt er den Menschen und dessen Eigenverantwortung mit hinein. Das heisst, wir haben eine Wahl. Wir sollen und müssen uns selbst entscheiden und selbst entwickeln.
Tatsache ist, das Leben mutet uns einiges zu. Dinge passieren einfach. Sie sind einfach. Schwierigkeiten aller Art gehören zum Leben dazu und müssen bewältigt werden. Und nicht alle Menschen haben dieselben Voraussetzungen und Möglichkeiten. Wir alle müssen mit der Unvollkommenheit des irdischen Lebens leben lernen und damit zurechtkommen. Das Leben ist voller Brüche, Leid, Schmerz, Angst, Krankheit, Tod usw. Der „Tod“, das Unperfekte in allen Varianten, ist Teil unseres Lebens. Dazu gehört, dass Menschen erleben, nicht zu sein und empfinden wie alle anderen. Unter anderem homosexuell oder transsexuell. Auch Christen haben kein irdisches Recht auf Vollkommenheit. Auch sie erleben Leid, Krankheit, Tod, können gleichgeschlechtlich oder transsexuell empfinden.
Transgender
Ausdrücklich zum Thema Transgender sagt die Bibel nichts, wie auch zu so vielen anderen umstrittenen Themen. Aber klar ist, diese Menschen gab es in der antiken Welt. Oft wurden sie kastriert, ihnen also ihr Geschlechtsteil abgeschnitten. Sie wurden zu Eunuchen. Das heisst nicht, dass alle Eunuchen Transgender Menschen waren, aber sicher ein Teil von ihnen. Und vermutlich liessen sich diese Menschen nicht freiwillig kastrieren. Eine Operation zur Geschlechtsangleichung (angleichen an das Empfinden) ist tatsächlich erst heute möglich. Doch das bedeutet nicht, dass es diese Menschen davor nicht gab.
Eine Operation ist heute möglich, doch damit werden Transgender Menschen nicht automatisch glücklich. Unsere Identität ist eine hochkomplexe Sache. Selbst im richtigen Körper zu sein, bedeutet zum Beispiel noch lange nicht, dass wir diesen Körper mögen, uns in ihm zu Hause fühlen, ihn gut bewohnen oder ein gutes Selbst(wert)gefühl und Selbstvertrauen haben. Wir werden mit dem "richtigen" Körper auch nicht automatisch glücklich in der Sexualität. Nur schon das Zusammenspiel der Hormone und unser Mann/Frau-Sein ist eine hochkomplexe Sache. Darüber findest Du interessante Vorträge von Vera Birkenbihl im Internet.
Geschlechtsumwandlung bzw. Geschlechtsangleichung
Es gibt die hormonelle Geschlechtsangleichung ohne Operation und die operative Angleichung. Operative Geschlechtsangleichungen tragen ein grosses Risiko in sich, danach in der Sexualität nicht mehr so vielfältig zu spüren und Erregung lustvoll zu erleben. Denn jede Operation verletzt Nervenendigungen und es bildet sich Narbengewebe, das schmerzen oder aber nicht mehr empfinden kann. Jede Operation im Geschlechtsbereich mindert auf irgendeine Weise die Möglichkeiten der sexuellen Empfindungen. Die erotischen Möglichkeiten werden weniger. Das kann unter Umständen der grössere Verlust sein, als der Gewinn durch die Operation.
Moralische Wertung
Es wird der individuellen Person und der Sache nicht gerecht, wenn wir das alles als „Genderismus“ abhandeln. Auch ich habe meine Probleme mit den extremen Forderungen der LGBT+-Fraktion, die alle Grenzen zwischen Geschlechtern und letztlich auch Generationen aufheben will. Doch ob es um Sexualität, Homosexualität, Intersexualität oder Transsexualität geht - Christen tun sich mit diesen Themen extrem schwer. Irgendwie können wir mit „Abweichungen“ nicht gut umgehen. Meine „moralische“ Haltung dazu kannst Du hier auf dem BLOG unter dem Stichwort Homosexualität nachlesen. Die Frage nach dem „Dürfen“ sollte jede Person für sich selbst mit Gott klären. Die „Dürfen-Frage“ ist eine dieser falschen Fragestellungen. Auf jeden Fall würde ich einer Transgender-Person zu einer Sexualtherapie raten, um grundsätzlich an ihrem Körpergefühl zu arbeiten, bevor sie sich zu einem so drastischen Schritt wie einer Operation entschliesst.
Liebe Gaby, ich hoffe, ich kann Dich mit meiner Antwort zum Denken und Forschen bringen. Denn für vieles müssen wir eigene Antworten finden. Wir sollten Gott selbst fragen, was er uns persönlich dazu sagen will. Das Wichtigsten aber ist, dass wir uns ein barmherziges Herz bewahren, um mit Menschen aller Couleur liebevoll und auf Gott hinweisend umzugehen, damit sie seine Liebe durch uns erfahren können.
Herzliche Grüsse - Veronika
Artikel über Philip Yancey: "Christen kommunizieren ohne Gnade"