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Was Menschen in Pornos suchen und (nicht) finden.
Ein Interview mit der Sexologin Veronika Schmidt, die sich für einen positiven Umgang mit Sexualität stark macht.
MINDO: Frau Schmidt, wer konsumiert eigentlich Pornografie? Gibt’s einen bestimmten Typ, der das häufiger tut als andere?
VERONIKA SCHMIDT: Da die Zahlen so hoch sind, vor allem bei den Männern, glaube ich nicht, dass es einen bestimmten Typ gibt. Im Grunde können es alle sein. Es gibt daher wohl eher den Typen, der es nicht macht: Den Normen und Regeln angepasste Menschen, diejenigen, die nicht ganz so körperorientiert sind, und auch die, die vielleicht auch keinen so hohen Testosteronspiegel haben und an Sex gar nicht so interessiert sind.
Welche Unterschiede gibt’s beim Thema Pornografie zwischen Männern und Frauen?
SCHMIDT: Männer schauen Pornos eindeutig häufiger als Frauen, aber die Frauen holen auf. Der Abhängigkeitsfaktor ist derselbe. Da wird ein Bedürfnis befriedigt, das anderweitig vielleicht nicht befriedigt werden kann. Oder irgendwann bleibt man beim Porno hängen, statt vielleicht sich zu fragen, was man sich sonst Gutes tun könnte. Das Schwierige an der Pornografie ist, dass oft die Menge des Konsums wächst und man abhängig wird.
Weshalb nutzen überhaupt so viele pornografische Angebote?
SCHMIDT: Weil Pornografie verschiedenste Sehnsüchte stillt. Zum einen ist es bei Jugendlichen oft das Bedürfnis nach Aufklärung, also zu wissen, wie Sex funktioniert. Denn darauf wird man in der Pubertät von seinem Körper oft unvorbereitet gestoßen. Dazu kommt die Anregung von Gleichaltrigen, die das auch machen und dann spricht man darüber. Und dann gibt es noch die generellen Bedürfnisse: Man will Lust befriedigen, Einsamkeit und Langeweile bewältigen, es geht um Kicks, die man erleben will. Es sind grundlegende menschliche Bedürfnisse, die man ersatzweise mit Pornografie stillt, so wie andere vielleicht mit Schokolade oder Sport oder Gaming.
Und was ist dann an Pornografie eigentlich schlimm?
SCHMIDT: Wenn es nur die Darstellung von Sex wäre, die einem tatsächlich vielleicht eine Art Wissensvermittlung schenken würde, fände ich sie eigentlich gar nicht schlimm, sondern im Gegenteil: für manches Paar vielleicht sogar ganz gut. Aber hinter der Pornoindustrie steht ja nicht der Wunsch, Menschen zu einem besseren Sexleben zu verhelfen, sondern möglichst viel Geld zu verdienen und Menschen abhängig zu machen. Da werden eben auch niedere Instinkte angesprochen und da werden Bilder vermittelt, die destruktiv sind. Diese destruktiven Bilder werden mit dem Orgasmus verknüpft. Sprich: Das Belohnungssystem in unserem Gehirn wird aktiviert und die Glückshormone, die beim Orgasmus ausgeschüttet werden, koppeln sich mit diesen Bildern.
Dazu kommt der Effekt, dass die Darstellungen immer expliziter und extremer werden müssen, um den Reiz aufrechtzuerhalten. Dadurch wird eine Vorstellung von Sexualität geprägt, die ungesund ist. Ganz zu schweigen von der Realität hinter vielen Pornos, die von Sexsklaverei leben, wo Frauen und im schlimmsten Fall Kinder für Pornos missbraucht werden. Wegen all dieser Gründe finde ich die Pornoindustrie bedenklich.
Sie sagten eben, dass Pornos eine Reihe von Bedürfnissen befriedigten. Können Sie das näher erläutern?
SCHMIDT: Es sind die menschlichen Grundbedürfnisse von Sicherheit, Geborgenheit, Nähe, Angenommensein und auch ein bisschen Abenteuer. Interessant in der Therapie ist es, zu fragen: „Was für Pornos guckst du?“ Ich als Therapeutin kann aus der Antwort, was angeschaut wird, Rückschlüsse auf die sexuellen Themen des Betreffenden ziehen.
Ein Beispiel: Es gibt Männer, die interessiert die Penetration im Porno gar nicht. Die schauen sich zum Beispiel nur die Lust der Frau an. Oder die großen Brüste, den Po. Es geht um das Voyeuristische. Wenn zum Beispiel der Penis für einen Mann überhaupt keine Rolle spielt, dann kann ich davon ausgehen, dass er keinen guten Zugang zu seinem eigenen Penis hat. Das Ziel bei diesen Männern wäre daher, den Bezug zum eigenen Penis herzustellen und zu stärken, und hier kommt Selbstbefriedigung als Therapie ins Spiel. Denn was passiert bei der Pornografie? Die Erregung kommt von außen, vom Bild, aus der Szenerie. Es ist ein Kopf-Orgasmus. Aber der kann mir dann keine Auskunft darüber geben, was der eigene Körper erlebt, weil die Wahrnehmung gar nicht im Körper ist. Ziel ist es, Menschen aus den Pornobildern herauszubringen, hinein in ihren Körper, zu sich selbst.
Nicht Askese oder Verbote bringen den größten Erfolg, sondern wenn Betroffene sich fragen: „Was kann ich tun, um eine gute Sexualität zu entwickeln?“
Wenn mein Partner oder meine Partnerin ein Pornoproblem hat, was kann ich tun?
SCHMIDT: Ansprechen. Denn das tut der Beziehung tatsächlich nicht gut! Wenn es um ein Abhängigkeitsverhalten geht, dann ist oft auch die Realität, dass man dem Paarsex aus dem Weg geht. Weil die Selbstbefriedigung und der Sex mit dem Pornofilm unkomplizierter und einfacher ist, man also Sex mit einem realen Menschen als schwieriger empfindet. Und das muss auf den Tisch.
Ich finde es generell gut, dass es ein Gesprächsthema wird und man auch Themen anspricht und klärt, die nicht stimmen. Denn viele Frauen empfinden den Pornokonsum ihres Mannes als Fremdgehen. Doch der Mann geht ja nicht mit diesen Pornodarstellern fremd, sondern eigentlich weicht er der Paarsexualität aus. Oder vielleicht auch sogar der Auseinandersetzung mit sich selbst, also mit der eigenen, ganz realen Sexualität und den eigenen erotischen Fähigkeiten.
Haben Sie Tipps, wo und wie man Unterstützung für den Ausstieg bekommt?
SCHMIDT: Es gibt viele Porno-frei-Initiativen. Und für jemanden, der das Gefühl hat, ihm hilft die totale Abstinenz, finde ich diese Initiativen gut. Trotzdem habe ich meine Zweifel, wie nachhaltig solche Ansätze sind. Denn ich habe immer wieder Menschen in der Beratung, die das schon probiert haben, teils mehrfach, und die gescheitert sind.
Eine Sexualtherapie ist darum sicher eine gute weitere Möglichkeit, weil es dabei auch um den pädagogischen Aspekt geht: Wenn ich mir den Porno abtrainiere, gehe ich lediglich gegen den Fehler vor. Wenn ich jedoch meine Sexualität analysiere und stärke, tue ich etwas für das Fehlende. Nicht die Verbote, nicht die Askese, bringen meiner Beobachtung nach den größten Erfolg. Sondern wenn Betroffene sich sagen: „Ich habe keine gute Beziehung zu meinem Körper, die habe ich dem Porno geopfert! Was kann ich tun, um eine gute Sexualität zu entwickeln?“ Das ist meiner Meinung nach der erfolgversprechendere Weg.
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Tina Tschage.
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