Das Buch von Rachel Held Evans “ES IST KOMPLIZIERT - Wie ich glaube, ohne zu verzweifeln: Kirche leben, leiden und lieben”, treibt mir nicht nur Tränen in die Augen, weil sie tragischerweise vor ein paar Tagen mit erst 37 Jahren verstorben ist. Sondern weil mich ihr Buch zutiefst anrührt in meiner eigenen Geschichte der christlichen Sozialisation. Sie gehörte zur Generation meiner Kinder, sie war Amerikanerin und doch spiegeln ihre Empfindungen und Zweifel meine eigenen durchlebten wieder, in einer Sprache, die ich selbst so nicht gefunden hätte.
Weshalb gerade diese junge Frau, Ehefrau und Mutter so früh gehen musste? Wir können es nicht wissen. Doch ihr Buch jetzt zu lesen berührt, weil auch Rachel Held Evans Fragen zu Sinn und Endlichkeit im Buch allgegenwärtig sind. Schon das Vorwort beginnt Glennon Doyle Melton mit den Worten: "Immer wenn ich mir selbst einen Schrecken einjagen will, überlege ich mir, was wohl mit der Welt passieren würde, wenn Rachel Held Evans mit dem Schreiben aufhörte." Nun ist der Schrecken Wirklichkeit geworden. Uns aber hinterlässt diese mutige junge Frau ein tiefgründiges und zugleich in seiner Sprache keckes Vermächtnis, einen Spiegel unserer eigenen Zweifel und unserer eigenen immerwährenden Suche nach göttlicher Wahrheit in unserem persönlichen Lebensentwurf als gläubige Menschen in der christlichen evangelikalen Lebenswelt.
Rachel Held Evans startete vor mehr als zehn Jahren einen Blog, der bald Aufsehen erregte. Sie schrieb über die wörtliche Auslegung der Bibel, Rassismus, Abtreibung, Evolution, Hochzeit, das Patriarchat, Frauen in Führungsrollen und die evangelikale Unterstützung von US-Präsident Donald Trump. Die Tageszeitung „Washington Post“ nannte sie einmal die „polarisierendste Frau in der evangelikalen Bewegung“. Schon 2013 thematisierte sie zum Beispiel in ihrem Blog das Thema Missbrauch in der Kirche, lange bevor sich evangelikale Institutionen mit dieser Problematik auseinandersetzten. Evans scheute kein heißes Eisen in evangelikalen Debatten. Im Jahr 2014 verliess sie die evangelikale Bewegung - die kulturellen Auseinandersetzungen hatten sie aufgerieben. In der Folge schrieb sie mehrere Bücher. Ihr Buch “A Year of Biblical Womanhood” wurde ein New-York-Times-Bestseller und beschrieb, wie sie sich ein Jahr lang wörtlich an die Instruktionen der Bibel für eine Frau hielt.
Jetzt, da wir wissen, es werden keine weiteren Zeilen mehr von ihr geschrieben werden, jetzt, da uns dieser Schreck in die Glieder gefahren ist, wird uns ihr Vermächtnis umso kostbarer sein. Danke Rachel Held Evans!