Hallo Veronika
ich bin seit mehreren Jahren mit meinem Mann verheiratet und immer wieder kommt es dazu, dass er den Wunsch äußert, Analsex zu haben. Neuerdings hat er Sexspielzeuge gekauft für den Analsex (er möchte die auch gerne bei sich benutzen). Mich erschreckt es ehrlich gesagt ziemlich, und ich finde es auch irgendwie abartig und deshalb habe ich ihm gesagt, dass ich das nicht machen möchte und auch nicht will, dass er sich selbst Anal befriedigt. Leider haben wir seither richtig Probleme in unserem Sexleben. Uns beide belastet das Thema und ich weiss einfach nicht weiter. Hast du einen Rat für uns?
Hella, 32 Jahre
Liebe Hella
Du hinterlässt mir keine Email-Adresse, weshalb ich Dir keine persönliche Antwort zustellen kann. Normalerweise beantworte ich anonyme Fragen nicht. Aber weil das Thema auch ein Dauerbrenner in meinen Beratungsstunden ist, schreibe ich trotzdem etwas dazu. Mein Rat an Dich ist: Bleib Dir selbst treu und mach nichts, dass Du nicht willst. Gleichzeitig suche das Gespräch mit Deinem Mann, vielleicht findet Ihr auch einen Kompromiss. Und setzt Euch zusammen damit auseinander, wie Ihr in Eurer Sexualität mehr spüren und erleben könnt, indem Ihr den Körper, Berührungen und Stimulation bewusst einsetzt.
Einige Männer sind irgendwann dermassen auf Analsex fixiert, dass sie denken, nicht mehr glücklich werden zu können, wenn sie ihn nicht bekommen. Die Frauen sagen mir, ihr Mann wolle unbedingt Analverkehr und lasse ihr keine Ruhe, doch für sie sei Analverkehr unvorstellbar. Die Männer klagen, ihre Frau wolle sich partout nicht darauf einlassen, er aber könne und wolle nicht länger darauf verzichten. Analsex kann zum Scheidungsgrund werden, weil sich nicht erhörte Männer erlauben, ihn auswärts zu holen, weil sie ihn ja zu Hause nicht haben können. Ich habe etlichen Männern in meiner Beratung auseinandergesetzt, dass sie kein Recht auf bestimmte Sexualpraktiken haben. Analverkehr ist ein großer Streitpunkt. Neben den Frauen, die ihn total ablehnen, gibt es Frauen, die ihn sehr mögen, andere lassen ihn widerwillig über sich ergehen, vor allem junge Frauen. Analsex ist eine verbreitete Praxis unter jungen Menschen, um eine Schwangerschaft zu verhindern und vermeintlich die Jungfräulichkeit zu erhalten.
Doch was macht Analsex dermassen zum heiligen Gral, dass einige dafür ihre Ehe und Familie opfern? Ein wichtiger Grund ist sicher die Dauerpräsenz im Pornofilm. In den Pornos bekommt der Mann den Analverkehr vorgeführt. Und je mehr er ihn sieht, desto mehr will er ihn haben. Auch der Kick des "Verboten-Schmutzig" spielt eine Rolle. Es ist die aufregende Vorstellung, die Männer reizt und erregt, auch „das Loch mehr“, wie es die Sexologin Dania Schiftan ausdrückt. Ein Mann, der „ihn“ hatte sagte: „Es gibt ja nichts Brennenderes, als unbefriedigtes Verlangen oder unerfüllte sexuelle Fantasien. Analsex darf man auch nicht überbewerten und wenn man eine Partnerin hat, die diesbezüglich keine Tabus kennt, wirst du feststellen, dass es dich nach geraumer Zeit wieder nach vorne drängt…“
Ein weiterer Grund kann die Art und Weise sein, wie sich ein Mann erregt. Ist er für seine Erregungssteigerung auf grossen Druck angewiesen, wird er deswegen Analverkehr als Variante bevorzugen. Der Anus ist enger als die Vagina, was Männern entgegen kommt, die sich durch die Masturbation mit der Hand einen härteren Griff gewohnt sind. Wer sich beigebracht hat, sich über viel Druck zu stimulieren, bekommt vielleicht Schwierigkeiten im Paarsex. Das gilt auch für Frauen, die sich die Erregung über Druck holen. Häufig können sie deswegen keinen Orgasmus mit ihrem Partner zusammen haben. Wer unter grosser Kraftanstrengung zum Orgasmus kommen muss, kann oft weder sich selbst noch den Orgasmus sonderlich gut spüren und diesen als besonders lustvoll erleben. Auf welche Weise wir uns erregen, ist angelernt und kann auch umgelernt werden. Die genussvollste Variante und der Weg zu einem ganzheitlich-ganzkörperlich erlebten Orgasmus sind gezielte, lockere und variantenreiche Bewegungen. Schnellere und langsamere Rhythmen, tiefer Atem. Gezielt geführte Beckenbewegungen aus dem Beckenbodenmuskel heraus ermöglichen eine langsame Erregungssteigerung, die den Weg zum Orgasmus genauso lustvoll sein lassen, wie den Höhepunkt selbst. (Buchempfehlungen: LIEBESLUST und MAKE MORE LOVE)
Doch zurück zu Deiner Frage und der Tatsache, dass Dein Mann auch für sich Anal-Spielzeug gekauft hat. Es kann durchaus lustvoll sein für den Mann, selbst Anal stimuliert zu werden, wegen der Prostata (dem G-Punkt der Männer). Dafür gibt es auch entsprechende Toys, die Anal eingeführt werden und von innen die Prostata massieren (z.B. der Aneros Helix Classic). Je nachdem können diese beim Geschlechtsverkehr drin gelassen werden. Anleitung für Anal- bzw. Prostatamassage mit der Hand finden sich im Internet. Doch auch ohne einzudringen, sind Berührungen rund um die Region des Anus sehr lustvoll. Mit Massieren des Damms des Mannes (der Bereich zwischen Hodensack und Anus), werden diese Nervenendigungen im Bereich der Prostata des Mannes indirekt stimuliert.
Was man im Porno nicht sieht, ist die sehr lange ausgiebige Vorarbeit, die geleistet werden muss, damit Analverkehr nicht schmerzhaft ist und auch hygienisch unbedenklich. Bevor es losgeht, braucht es Vorbereitungszeit. Viel Zeit. Der Afterschließmuskel ist sehr stark und meistens sehr angespannt. Er muss daher zuerst gelockert werden, damit er nicht verletzt wird. Wer Analsex praktizieren will, sollte sich unbedingt vorher darüber informieren. Denn er geht ein Verletzungsrisiko ein und nimmt die Gefahr von Stuhl-Inkontinenz in Kauf, weil Analverkehr gegen die natürliche Funktion des Schließmuskels arbeitet. Der Anus ist ein relativ kompliziertes Gebilde aus einem äußeren Schließmuskel, den man willentlich steuern kann, und einem inneren Schließmuskel, der nicht willentlich steuerbar ist. Nur mit dem äußeren Schließmuskel ist eine vollständige Kontinenz nicht sicher. Dazu benötigt man auch den inneren Schließmuskel, der dazu Druck aufbaut. Damit staut er die abführenden Blutgefäße, die direkt unter der Schleimhaut sitzen. Dies sichert die eigentliche „Feinkontinenz“. Verletzungen des Schließmuskels können zu Vernarbungen führen und mit der Zeit schließt der Muskel nicht mehr richtig. Auch sexuell übertragbare Infektionen sind beim Analverkehr ein Risiko, weil die Haut sehr empfindlich ist, schnell verletzt sein kann und zu bluten beginnt und weil das Sperma von der Darmwand schnell aufgesogen wird. Durch den Kontakt des Mundes mit dem Anus können ebenfalls diverse Infektionen übertragen werden. Auch der Finger im Anus ist nicht ganz ungefährlich – denn der Finger landet nach dem Anus schnell mal in anderen Körperöffnungen und so können Keime übertragen werden.
Es gibt kein Recht auf bestimme Sexualpraktiken
Sex kann in einer Beziehung rechtlich nicht eingefordert werden. Eine bestimmte Sexualpraktik schon gar nicht. Denn die körperliche Unversehrtheit und die Entscheidungsfreiheit des Individuums sind unantastbar. Sex, wie er stattfindet, muss für beide stimmen. Vor allem Männer sind manchmal in ihren Vorstellungen so sehr auf etwas Bestimmtes wie Analsex, Totalrasur, Kostüme fixiert, dass sie deswegen die Beziehung riskieren. Zum selbstverständlichen Sexrepertoire der Schweizerbevölkerung gehören laut Umfrage Vaginalverkehr (91 %), Zungenküsse (89 %), Oralsex (87 %), Petting (79 %) und Selbstbefriedigung (92 %). Analverkehr (54%) hat zugenommen.