Liebe Veronika
Ich habe Deinen letzten BLOG gelesen und hätte da eine Frage. Sagst Du damit, dass diese Bibelstellen von der Unterordnung der Frau unwichtig sind? Ehrlich gesagt sind da ganz viele Stellen in der Bibel, die mich verunsichern und von denen ich keine Ahnung habe, wie sie zu verstehen sind. Gibt es da Grundsätze, wie man diese lesen und interpretieren kann?
Bin sehr interessiert an Deiner Antwort.
Grüsse – Celina, 24 Jahre
Liebe Celina
Keine einzige Stelle in der Bibel ist für mich unwichtig, auch wenn nicht jede denselben Stellenwert hat oder ich sie nicht verstehe. Sogar Gott macht offenbar Unterschiede. Er sagt im AT zum Gesetz (10 Gebote), wie im NT zur Offenbarung, dass wir davon weder etwas wegnehmen noch dazutun dürfen. Gott kann und darf zu mir durch alle Worte der Bibel sprechen. Mir sind zum Beispiel die Worte von Jesus wichtig. Diese habe ich mir in meiner Bibel mit Leuchtstift angemalt. Als Beraterin in Familien- und Beziehungsdingen liebe ich zudem die Lebensgeschichten in der Bibel. David's Generationengeschichte und in diesem Kontext die Sprüche und Psalmen sind aus systemtherapeutischer und geistlicher Sicht hochinteressant.
Ich für mich lese die Bibel mit der Brille der Lebenswelt. Das heisst, ich frage, was bedeuteten diese Worte in der damaligen Lebenswelt, in der sie geschrieben wurden? Was war das für eine Zeit? Wie hat sich Gott damals offenbart? In welcher Situation befand sich der Mensch, von dem gerade erzählt wird? Ich frage nach Zusammenhängen und nach der Heilsgeschichte, die Gott mit dem einzelnen Menschen oder der Menschheit verfolgt. Dann lese ich mit der Brille der heutigen Lebenswelt, unter Einbezug meiner eigenen Geschichte und Erfahrungen mit Gott. Und ich lese ganz bewusst im Vertrauen auf Offenbarungen durch den Heiligen Geist. Ich versuche, aus der damaligen Situation heraus, das zu finden, was in meine jetzige Situation spricht.
Es gab mal eine Zeit, da hatten die Kirchenväter eine Übereinkunft, die Bibel zu lesen, indem sie sich fragten: „Was lese ich - was liest du.“ Es gab nicht nur die eine, richtige Sichtweise. Diese Art Bibelstudium würde auch möglich machen, sich Bibelworte vorzunehmen, die wir nicht verstehen. Denn es gibt massenhaft rätselhafte, nicht eindeutige Worte in der Bibel. Wer die Bibel sehr wörtlich nimmt, muss zwangsläufig einen Bogen um diese Stellen machen. Doch so wird das Evangelium immer kleiner und verkürzter. Ich bin nun 55 Jahre alt und seit Kindesbeinen „unter dem Wort“ :-). Manchmal kommen mir Predigten vor wie eine CD in Endlosschlaufe. Dieselben Predigten. Dieselben Aussagen. Das darf auch so sein, weil ja jede Generation wieder aufs Neue das Evangelium hören soll. Doch gelegentlich denke ich ketzerisch: "Da steht doch noch mehr in der Bibel", "Das könnte man auch anders verstehen" oder „Nur weil wir es immer wieder wiederholen, wird es nicht wahrer.“ Mein Geist ist dagegen hochentzückt, wenn ich mal was Unkonventionelles, Vielschichtiges, etwas „out of the box“ höre.
Doch zurück zur „Unterordnung der Frau“. Nehmen wir als Beispiel Sklaverei. In Galater 3, 28 sagt Paulus: „Nun gibt es nicht mehr Juden oder Nichtjuden, Sklaven oder Freie, Männer oder Frauen. Denn ihr seid alle gleich - ihr seid eins in Jesus Christus.“ Trotzdem sagt Paulus zum Sklaven Onesimus, er solle zurück zu seinem Herrn Philemon - und nicht, er sei jetzt frei. Wohl deshalb, weil es damals keine andere Möglichkeit für Onesimus gab, in der Gesellschaft zu überleben. Und nicht deshalb, weil Sklaverei Gottes Absicht ist. Das ist sie auch heute noch nicht. Genauso wenig wie die Ungleichstellung der Frau.
Jesus und Paulus haben die Frauen in einen für die damalige Zeit aussergewöhnlichen, ja spektakulären Stand versetzt. Ausserhalb des Judentums waren Frauen und Kinder dem Vieh gleichgestellt. Männer konnten über deren Leben eigenmächtig und willkürlich entscheiden. Nun also bekamen die Frauen durch das Evangelium einen Platz in der Gemeinde, zusammen mit den Männern. Gott macht keinerlei Unterschied zwischen Mann und Frau, doch diese Tatsache entwickelte sich gesellschaftlich nicht wahnsinnig schnell . Auch heute sind wir noch nicht am Ziel, aber entschieden weiter als zu Beginn unserer Zeitrechnung. Was aber sollen nun diese umstrittenen Stellen, gelesen aus der Lebenswelt?
Diese Stellen könnte man verstehen, dass sie etwas über das Wesen der Frau aussagen, genauso, wie andere Stellen über das Wesen des Mannes. Man könnte z.B. das Wort „Unterordnung“ auch als „Einordnung“ interpretieren. Weshalb werden Frauen an mehreren Stellen ermahnt, sich einzuordnen in die gegebenen gesellschaftlichen Strukturen? Ich werde jetzt ein wenig gemein, doch steckt ein Kern Wahrheit drin (das nimmt Männer deswegen nicht aus der Verantwortung gegenüber ihren eigenen Schwächen). Frauen haben die Tendenz, „übers Ziel hinaus zu schiessen“ und das haben diese Frauen in ihrer neuen Freiheit bestimmt getan. Sie sind in Gefahr, sich zu überheben, wenn sie nicht mehr unterdrückt werden. In Gefahr zu „labbern“, wenn sie nicht mehr schweigen müssen, auch wenn sie von einer Sache vielleicht gar nichts verstehen. In Gefahr zu manipulieren, wenn sie nicht ans Ziel kommen. In Gefahr auszuteilen, aber nicht einstecken zu können. Die Liste könnte man beliebig fortsetzen.
Paulus wollte den Pendelschlag aus dem neuen Extrem zurück in die Mitte holen (denke ich). Er bringt Gott nach seiner Erkenntnis und natürlich auch durch göttliche Inspiration ins Spiel. Paulus kennt die Ordnungen Gottes aus der Thora genauso gut wie das neue Evangelium. Er sucht nach Bildern und Metaphern, die die Menschen verstehen können. Er bemüht sich darum, was aus Sicht der damaligen Lebenswelt für Frauen trotz der neuen Freiheit gesellschaftlich vorstellbar ist. Er kennt vermutlich die Eigenheiten von Frau und Mann und ist besorgt um ein hilfreiches Zusammenleben in der Gemeinde, Familie und Ehe seiner Zeit.
Beziehung ist heute sehr gut erforscht, wie übrigens auch Erziehung. Das spielt für mich eine Rolle, wenn ich die Bibel lese. Man kann heute wissen, was in der Beziehung gut tut und was nicht. Ein Machtgefälle tut definitiv nicht gut, und ich finde es gottgewollt nicht im Kontext der ganzen Bibel.
Liebe Celina. Wenn ich auf diese Weise die Bibel lesen darf, dann wird sie total spannend. Und diese Erfahrung wünsche ich auch Dir. Herzliche Grüsse - Veronika