Liebe Veronika
Mein Freund und ich sind seit 3 Jahren zusammen. Eine baldige Hochzeit liegt auf Grund des Studiums nicht drin. Seit wir zusammen sind, halten wir uns schön "brav" an den Grundsatz "Kein Sex vor der Ehe". Inzwischen wird dieser Vorsatz für uns immer schwieriger umzusetzen. Allerdings hält mein Freund daran sehr fest. Das Problem ist – wir sind stattdessen in die Falle gerutscht, unsere sexuelle Sehnsucht mit pornografischen/erregenden Bildern zu kompensieren.
In meinen Augen ist dieses Verhalten eine viel größere Sünde, als Sex vor der Ehe zu haben. Doch wir sehen das nicht gleich. Für mich jedenfalls ist Pornographie absolut keine Option. Wir bräuchten dringend einen Rat.
Viele Grüsse, Letizia 22 Jahre
Liebe Letizia
Es ist schon eine Weile her, dass Du mir Deine Frage im Blog gestellt hast. Normalerweise schreibe ich eine kurze Antwort zurück und teile der Fragestellerin oder dem Fragesteller mit, wann die Frage ausführlich beantwortet und veröffentlich wird. Doch das kann ich nicht, weil Du mir Deine Mailadresse auf dem Formular nicht hinterlassen hast. So weiss ich jetzt auch nicht, ob Dich die Antwort erreicht.
Die Frage nach der grösseren Sünde wird Euch nicht weiterbringen. Weil (angenommene) Sünde bewusst zu tun, grundsätzlich ein schlechtes Gewissen nach sich zieht. Ihr werdet somit Eure Sexualität von Anfang an mit Scham behaften, was langfristig ein ziemlicher Lustkiller ist. Für diesen Mechanismus spielt es nur bedingt eine Rolle, ob es jetzt Pornografie oder der Sex vor der Ehe ist.
Pornografie ist für Dich wohl deshalb keine Option, weil Du vermutlich, wie die meisten Frauen, diese gar nicht cool findest. Wenn es Dich trotzdem erregt, bedeutet das gar nichts. Der Erregungsreflex funktioniert automatisch und ist nicht zu kontrollieren. Er schaltet sich selbst dann über die Augen ein, wenn Du das Gesehene gar nicht attraktiv findest. Für Dich müsste es etwas fürs Gemüt sein - also wenn schon, dann richtigen Sex, reale Gefühle. Da würdest Du Nähe, Zärtlichkeit, Romantik und sexuelles Begehren finden. Hingegen ist für Deinen Freund Pornografie durchaus eine Option, weil viele Männer Pornos geil finden und sie daraus Befriedigung nehmen – und meistens auch sexuell Dampf ablassen – sprich sich einen runterholen. Wobei, es gibt Ausnahmen. Es gibt auch Männer die sagen: „Wenn ich Pornos anschaue, sehe ich nur Ejakulationen ohne jede Ekstase. Ich kann nicht verstehe, was Männer daran toll finden …“. Und ja, das sind wohl eher Männer, die richtigen Sex und den Unterschied kennen.
In einigen Beiträgen hier auf dem Blog findest Du Ausführungen zu Sex vor der Ehe. Zusammengefasst heissen die: Ihr müsst das selbst mit Euch und Gott klären. Es ist Eure Verantwortung – es ist Euer Leben. Martin Dreyer, Gründer von den "Jesus Freaks", sagt im diese Woche erschienenen Interview zu seinem neuen Buch "Der vergessene Jesus": "Sexualität ist etwas Göttliches, etwas nur Gutes, ein Riesengeschenk, das Jesus uns gemacht hat. Wir sollten als Jesusnachfolger mehr darüber nachdenken, wie wir dieses Geschenk in dankbarer Weise auspacken, ausleben und genießen können. Wir wissen, dass Jesus ein normaler Mann war. Er hatte alle menschlichen Bedürfnisse, die die Wissenschaft heute kennt. Ich finde es vollkommen abwegig zu glauben, dass Jesus nicht auch sexuelle Gefühle kannte. Auch wenn er sie vielleicht nie mit einem Menschen ausgelebt hat. (…) Überall wo ich das sage, schreien Christen auf. Vielleicht auch, weil Jesus ihnen plötzlich zu nahe kommt. Nicht nur ins Herz, sondern auch in die Hose." Er habe das Buch geschrieben, sagt Dreyer, weil er überall ein verzerrtes, krampfiges und viel zu moralisches Christentum erlebe, ohne viel Freude. Er aber könne bei Christus von all dem nicht viel entdecken.
Was will ich damit sagen? Ihr solltet dringend für Euch die Sexfrage gründlich klären, auch Euren Zeithorizont und Eure Bedürfnisse und Wünsche. In Eurem Dilemma stecken viele Paare, die nicht einfach innert nützlicher Frist heiraten können. Und ich habe volles Verständnis für Eure Sehnsüchte. Euer jetziges Verhalten tut Euch aber nicht gut. Wenn Ihr wirklich warten wollt, solltet Ihr auf sexuelle Stimulation verzichten. Damit meine ich nicht Zärtlichkeiten, Küsse und Schmusen, sondern explizite Stimulation von Körper und Hirn. Wenn Du keine Pornos schauen willst, dann setze durch, dass Ihr keine Pornos schaut. Wenn Dein Freund keinen Sex vor der Ehe will, dann steckt zusammen den Rahmen ab, in dem Ihr Euch wohl fühlt. Wenn Ihr wollt, dann verzichtet auf Beides und richtet Eure Sehnsucht auf andere Dinge. Sublimieren sagt man dem. Wenn Eure sexuellen Sehnsüchte zu stark werden, dann stillt sie bei Euch, aber nicht zusammen.
Macht Euch Gedanken, wie Ihr Eure Beziehung auch im Detail leben wollt. Verpflichtet Euch darauf und plant Eure gemeinsame Zeit im Voraus und haltet dann daran einigermassen fest. Pflegt und vertieft auf andere Weise Eure Beziehung, lernt Euch immer besser kennen und erlebt andere positive Dinge miteinander. Oder aber klärt, ob Ihr „Es“ doch tut, oder ab wann und unter welchen Bedingungen Ihr es ihn Zukunft tun wollt, aber in Freiheit und bewusst geplant und nicht aus dem Affekt heraus und aus Frust, oder weil Ihr denkt, damit würdet Ihr der Pornofalle entkommen.
Dazu möchte ich Euch zu bedenken geben: Euer jetziges Muster ist nicht hilfreich für Euer späteres Liebesleben. Ihr programmiert Euer Hirn darauf, sexuelle Erregung aus pornografischen Darstellungen zu nehmen, statt aus der Wahrnehmung und Bewegung des Körpers. Also speichert Euer Hirn, „pornografische Darstellungen bringen die Erregung.“ Nun könnt ihr Euch vorstellen, wie sexuell erregend Euer Hirn dann einmal Euch selbst in Eurer Nacktheit findet und was Ihr im Sex tut, gemessen an den Pornobildern. – Gähn! Ich hatte schon solche Paare in der Beratung, die jahrelang eine Art Ersatz-Sexualität gelebt haben und dann beim richtigen Sex fanden: „Ist das jetzt alles?“ Die mussten richtig von Grund auf „normale“ Sexualität lernen und sie schön finden.
Und nun zur Sehnsucht. Sehnsucht könnte man definieren als „Krankheit des schmerzlichen Verlangens“. Sie ist ein inniges Verlangen nach einer Person, einer Sache, einem Zustand oder einer Zeitspanne. Sie bezieht sich auf Etwas oder Jemanden, den man liebt oder begehrt. Sie ist mit dem schmerzlichen Gefühl verbunden, den Gegenstand der Sehnsucht nicht erreichen zu können. Was hat Sehnsucht für eine Funktion? In der Sehnsucht kann man für eine gewisse Weile das perfekte Leben haben. Sie hilft, mit der eigenen Unfertigkeit, mit Verlusten und dem nicht-perfekten Leben umzugehen. Zum anderen kann Sehnsucht dem Leben eine Richtung geben. Sie kann einem dabei helfen, sich Ziele in den Lebensbereichen zu setzen, die einem besonders wichtig sind. Sehnsüchte haben und aushalten tut der Persönlichkeit gut. Doch wir heutigen Menschen haben das leider total verlernt. Wir meinen zu sterben, wenn wir Sehnsüchte nicht sofort stillen können. Das macht uns alle zu Junkies.
Doch es ist wichtig, seine Sehnsuchtsgefühle kontrollieren zu können und sich ihnen nicht ausgeliefert zu fühlen. Sonst kann Sehnsucht zu Melancholie führen. Ältere Erwachsene sehen Sehnsüchte positiver als junge Erwachsene. Jeder Mensch kennt das bittersüsse Gefühl der Sehnsucht. Sehnsucht ist ein Ziehen in der Brust, es schmerzt, aber Sehnsucht ist auch ein schönes Schwelgen in den Vorstellungen von dem grossen Glück. Diese Vorstellung allein könnte grundsätzlich auch schon Glück sein. Das ist es ja, was langjährige Paare manchmal vermissen und deshalb vielleicht ihre Beziehung langweilig finden. Weil die Sehnsüchte fehlen, die einen in gewisser Weise auch lebendig fühlen lassen. Bitter macht die Sehnsucht dann, wenn wir wissen, dass das Begehrte unerreichbar ist, für immer. Doch Warten ist nicht gleich Unerreichbar.
In diesem Sinne wünsche ich Euch, dass Ihr offen und ehrlich miteinander über Eure Wünsche und Vorstellungen ins Gespräch kommt, den Mut habt, konkrete Ziele zu definieren und wie ihr sie erreichen wollt und die Stärke, sehnsuchtsvolle Gefühle auszuhalten. Herzliche Grüsse - Veronika