Liebe Frauen
Wenn Ihr wollt, dass wir Männer Euch ernst nehmen, dann schreibt bitte nicht so einen Müll. Wir sind an ernsthaften und differenzierten Disskussionen sehr interessiert, aber nicht an pauschalen Vorverurteilungen. Vielleicht bekommt Ihr den nächsten Artikel ja besser hin.
Liebe Grüsse, ein Freund, 1967
zu „Diese Herren nerven!“ – Sexismus in der Kirche
Diese Zeilen fand ich anonym in meinem BLOG-Briefkasten und beschloss, sie als Anerkennung zu betrachten, obwohl die Schreibweise DISSkussionen etwas anderes impliziert. Dann entdeckte ich sie als Kommentar unter dem soeben veröffentlichten JOYCE-Artikel auf www.jesus.de. Der Absender wollte offenbar sicherstellen, dass ich seine Zeilen zu Gesicht bekomme.
Ich wünschte mir, dass sich Männer nicht per se angegriffen fühlen, wenn man mal ein paar Dinge beim Namen nennt. Weshalb darf man das nicht sagen? Wer sich nichts zuschulden kommen lässt und sich um eine gleichberechtigte, partnerschaftliche Beziehung zum anderen Geschlecht bemüht, müsste keinen roten Kopf kriegen. Selbst wenn Männer sich in ihrem privatesten Umfeld zurecht manchmal ebenso wie Frauen unverstanden und ohnmächtig fühlen, könnten sie vielleicht doch nachvollziehen, dass sie gesellschaftlich gesehen (auch in der Kirche) seit Jahrhunderten am langen Hebel sitzen.
Frauen sind die Mehrheit der Menschheit, sind aber überall Opfer systematischer Diskriminierung, Unterdrückung und sexuellem Missbrauch. Frauen leisten die meiste unbezahlte Arbeit und Freiwilligenarbeit. Frauen sind die Mehrheit mit Minderheitenstatus, auch in der Kirche. Darüber müssen wir reden. Denn inzwischen fliegen wir auf den Mond, jetten um die ganze Welt, leben vollständig digitalisiert, unsere Welt hat sich in den letzten 150 Jahren total revolutioniert, wir geniessen bedenkenlos den Fortschritt in Medizin und Technik, aber in der Frauenfrage sind wir nicht weit gekommen. Sophie Scholl, die für ihren Widerstand gegen die Nazis im Jahr 1943 hingerichtet wurde, sagte über Politik: "Wenn ich auch nicht viel von Politik verstehe, (...) so habe ich doch ein bisschen ein Gefühl, was Recht und Unrecht ist." Mit diesen Worten würde ich gerne selbst sagen: "Ich bin zwar "nur" eine autodidaktische Theologin, aber ich habe doch ein bisschen ein Gefühl, was Recht und Unrecht ist." Eine Theologie, die Frauen nicht freisetzt, ist eine Männertheorie, um nicht zu sagen eine Männerfantasie.
Ich kann schon nachvollziehen, dass es derzeit für Männer hart ist, ein Mann zu sein. Vor allem für solche, die sich für Geschlechtergleichheit und gegen sexuelles Fehlverhalten einsetzen. Doch es ist wichtig, dass wir diese Diskussionen führen, um für mehr Verständnis zwischen den Geschlechtern zu sorgen. Wir müssen reden. Vor allem die Männer müssen untereinander reden. Männer reden nicht genug und erst recht nicht miteinander. Ein Mann schrieb mir: "Wie lernen wir sprechen über all die "einbetonierten" Tabus? Ich schreibe als Mann mit eigener Leidensgeschichte. Immer habe ich mich als Sonderling gefühlt, wenn ich emotionale Themen angesprochen habe. Bis heute habe ich es kaum erlebt, dass ein Team fähig gewesen wäre, darüber auszutauschen, geschweige denn, dies als wertvollen Beitrag zu erachten. Mir hat das den Ruf des "Frauenverstehers" eingebracht. Also - Emotionen sind eben "Frauenthemen", nicht richtig fassbar und somit auch nicht zu thematisieren." Er schickte mir dazu einen Artikel von Pfarrer Paul Veraguth, in dem dieser schreibt: "Wie kommt es, dass ich noch nie einen Mann zugeben hörte, was er angerichtet hat? Auf dreissig Opfer keinen Täter. Wo sind sie? Ist es Feigheit? Ist es Scham? Ist es das «Recht der Stärkeren»? Eine Zwischenbilanz meiner Arbeit sagt mir: Die wirklich Starken sind Frauen."
Ja, wir müssen dringend reden, beiden Geschlechtern zuliebe. Ich bin unendlich dankbar für die "Frauenstatements" an der EXPLO 17, vor allem von Danielle Strickland. Ich bin sehr dankbar für das Buch von Christian Haslebacher "Yes, she can!" - ENDLICH! - kann ich nur aufseufzen.
Meinem lieben "Freund" von weiter oben möchte ich sagen: "Ja, ich glaub, das bekommen wir Frauen noch besser hin." Auch wenn das Resultat vielleicht nicht in seinem Sinn ist. "Jetzt kommt unsere Zeit", war der Slogan des weltweiten Women's March 2018. Ich würde sagen: "Jetzt kommt die Zeit der Versöhnung zwischen den Geschlechtern." Die Veränderung lässt sich nicht mehr aufhalten. Trotzdem mache ich mir keine Illusionen - es wird Gegenwind geben. Die Anwältin Gloria Allred kämpft seit über 40 Jahren erfolgreich für Frauenrechte und vertritt Klägerinnen gegen mächtige Männer. Ihre eigene leidvolle Geschichte hat sie dazu gebracht, sie sagt: "Man heilt Wunden, indem man anderen hilft, die dasselbe erlebt haben."* Allred hat in ihrem Kampf für Gerechtigkeit erkannt: "Macht versteht nur Macht." Sie sorgt für Aufmerksamkeit und macht Lärm, weil mächtige Männer sich darauf verlassen, dass ihre Opfer schweigen, aus Scham und vor allem aus der Überzeugung, dass ihnen ohnehin niemand zuhört.
Doch die Geschichte zeigt: "(...) Der gesellschaftliche Wandel ist bisweilen mächtiger, als es die kulturellen Beharrungskräfte sind. Auch im Westen war das Tolerieren sexueller Übergriffe von Männern in Machtpositionen bis vor kurzem Teil einer scheinbar kaum veränderbaren patriarchalen Kultur. Dann genügte eine kiritische Zahl von Frauen, die sich nicht mehr alles haben bieten lassen, um die Verhältnisse zu kippen." (Michael Hermann**) Es wird ein paar Frauen brauchen, die sich für die Sache exponieren - ca. bei 10 Prozent liegt die nach dem heutigen Stand der Wissenschaft „kritische Masse“, um ein neues Paradigma zu etablieren. Packen wir es an. „Sobald sich der Geist eines Menschen einen neuen Horizont erschlossen hat, kehrt er nie mehr in seinen vorherigen Zustand zurück.“ (Sr. Oliver Wendell Holmes - amerikanischer Arzt und Schriftsteller - 1809-1894)
Ich glaube, es ist höchste Zeit, dass wir mit der Klärung der Frauenfrage für beide Geschlechter Raum in der Kirche schaffen für "neue Kleider". Die Mystikerin Madeleine Delbrel sagte: "Der Glaube (die Kirche) ist wirklich wie eine „arme Frau“. Jedes Volk, jede Kultur und jedes Zeitalter schenken ihr ein Kleidungsstück. Wenn die Zeiten sich wandeln, ist ihr Gewand abgetragen. Sie muss neue Kleider bekommen, wenn sie sich nicht im Keller verstecken will."
Gerade jetzt, während ich das hier schreibe, ploppt ein Mail auf. Ein Mann schreibt mir:
Liebe Veronika
Ich habe keine Frage, sondern möchte Dir herzlich danken für Deinen Mut und Deine klare Sprache, auch gegen so viele Widerstände und Verdächtigungen. Ebenso möchte ich Dir danken für Deine kritische Stellungnahme gegenüber der Vormachtstellung des Mannes über den Frauen.
Ich bin mit meiner Frau seit 39 Jahren verheiratet und wir sind beide glücklich. Das Thema 'Unterordnung' war und ist für uns nie ein Thema. Wir helfen uns gegenseitig und ergänzen uns in vielerlei Hinsicht.
Deine Blogs kennen wir erst seit kurzer Zeit und nun lesen wir zusammen Deine Bücher mit Gewinn.
Herzliche Grüsse - Peter - 70 Jahre
* Tages-Anzeiger - Donnerstag, 1. März 2018 - "Sie lässt Donald Trump schlecht schlafen"
** Tages-Anzeiger - 5. Februar 2018 - "Kraft der Emanzipation"