Liebe Veronika
Wie ist es mit Selbstbefriedigung in der Ehe? Wie siehst Du das? Für mich ist es Stressabbau und ich fühle mich danach fitter. Ich habe gelesen, dass regelmässige Orgasmen vorbeugend wirken gegen Prostatakrebs. Ich bin verheiratet und wir haben vier Kinder.
Paul, 40 Jahre
Lieber Paul
Eigentlich spricht nichts dagegen, dass Du Dich selbst befriedigst, ausser dem Moralkodex natürlich. Und ja, es hat gewisse Vorteile, wenn Mann regelmässig Ejakulationen hat. Neben den von Dir schon erwähnten, erhalten sie auch die Erektionsfähigkeit, wenn man bis ins Alter noch Sex haben möchte. In jungen Jahren sorgt der Körper meist selbst für die Funktionstüchtigkeit des Sexualorgans, indem Mann spontane Ejakulationen in der Nacht hat. Diese sind ein Zeichen dafür, das alles in Ordnung ist. Es ist aber nun auch nicht so, dass es ungesund ist, wenn man nicht regelmässig ejakuliert. Wer keinen Sex hat und keinen Sex will, der wird keine gesundheitlichen Schäden davon tragen. Soweit die technischen Fakten.
Nun bist Du in einer Ehebeziehung, und da spielt es natürlich schon eine Rolle, was Deine Frau dazu meint, beziehungsweise, was das mit Eurer Beziehung macht. Es gibt Ehefrauen, die haben nichts dagegen und sind auch froh, wenn der Mann seine sexuellen Bedürfnisse ab und zu selbst befriedigt. Andere sehen es als Konkurrenz zur gemeinsamen Sexualität und fühlen sich betrogen. Im Laufe einer langen Ehe kann es Situationen geben, in denen es sogar sehr sinnvoll ist, dass beide Partner auch eine Solosexualität leben können, damit der andere nicht unter Druck kommt oder man nicht nach Kompensation ausserhalb der Ehe sucht. Trotzdem - wenn Du Deine sexuellen Bedürfnisse überwiegend mit Dir selbst erfüllst, wirst Du nicht sehr motiviert sein, noch Sex mit Deiner Partnerin zu haben, ja, überhaupt um ihre Nähe zu werben. Das jedenfalls sehe ich immer wieder in der Beratung. Es ist gut, wenn Ihr Euch als Paar darüber und überhaupt über Eure Sexualität austauscht. Wir alle haben Moralvorstellungen und Denkweisen verinnerlicht, die es uns erleichtern oder erschweren, mit Fragen rund um die Sexualität umzugehen. Ich ermutige Euch: Bleibt im Gespräch über Eure sexuelle Lerngeschichte, über Eure Vorstellungen, Ängste, Bedenken, Wünsche usw. Ein anregendes Büchlein dazu hat Ulrich Clement geschrieben: THINK LOVE – das indiskrete Fragebuch.
Du erwähnst, dass Selbstbefriedigung für Dich Stressabbau bedeutet. Sexualität hat vielfältigste positive Auswirkungen. Doch wie bei allen Genussmitteln ist die positive Wirkung vor allem davon abhängig, wie wir sie einsetzen. Wenn Stress und Selbstbefriedigung dich von Deiner Frau wegbringen, Deine Zeit fressen, welche Du für Wichtigeres bräuchtest, Dich in Gedanken gefangen nehmen, Dich abhängig von Pornografie machen, dann solltest Du die ganze Sache überdenken.
Nachdem sich jetzt doch schon viele Leute mit den Inhalten meines Blogs und meinem Buch beschäftigt haben, höre ich immer wieder: „Ja, ja, das ist schon in Ordnung, dass man Frauen zu Selbsterfahrung ermutigt. Aber Männer sollte man davon abhalten, die können nicht sinnvoll damit umgehen.“
Wo immer ich mit gläubigen Menschen über Selbstbefriedigung diskutiere, behaupten sie, Selbstbefriedigung gehe immer mit pornografischen Bildern einher, das sei anders gar nicht möglich. Für viele Menschen ist das eine ohne das andere kaum mehr denkbar. Weil Pornokonsum praktisch immer mit Selbstbefriedigung einhergeht, denken sie, das sei umgekehrt auch der Fall. Natürlich haben viele Männer unseres digitalen Zeitalters auf diesem Weg Bekanntschaft mit Selbstbefriedigung gemacht. Doch grundsätzlich entdecken besonders Männer ihr Geschlecht und die sexuelle Befriedigung ganz von alleine im Laufe ihrer Entwicklung. Wenn ich mit Männern in der Beratung über Selbstbefriedigung spreche, dann bestätigen mir alle, wie unterschiedlich sich Selbstbefriedigung mit und ohne Pornobilder anfühlt, also gefühlsmässig und körperlich unterschiedliche Empfindungen auslöst. Den Solosex an sich empfinden die Wenigsten als problematisch, ja geniessen ihn auch.
Für eine erfüllende, befriedigende und nicht pornofixierte Sexualität sollten Männer genauso wie die Frauen lernen, über die bewusste Bewegung des Beckenbodens ihre Körperwahrnehmung zu verbessern und ihre Fantasien anzuregen, also ihre eigenen inneren Bilder zu entwickeln, damit der Orgasmus ganzheitlicher erlebbar wird. So wird der ganze Körper Erregung empfinden können und braucht nicht Pornobilder für den entsprechenden Kick. Kürzlich fragte mich jemand, wenn Selbstbefriedigung okay ist, wieviel davon ist dann noch in Ordnung? Diese Frage muss jede Person für sich selbst beantworten. Wir sollten Selbstbefriedigung betrachten wie jedes Genussmittel. Man kann, muss es aber nicht konsumieren, und die Häufigkeit des Konsums bestimmt jeder Mensch für sich selbst. Ja, exzessiv gesuchte Wiederholung eines Genussmittels kann zu Sucht führen, egal, um was für einen Belohnungsreiz es sich handelt.
So zum Spass – hier noch ein paar Fakten zur Gesundheit von Sex:
Sex macht nicht nur Spass, sondern ist auch gesund. Sex ist gesund – auch in Form von Selbstbefriedigung. Eine über 10 Jahre dauernde Langzeitstudie der Universität im englischen Bristol kommt zusammengefasst zum Ergebnis: Je mehr Sex jemand hat, umso gesünder ist die Person. Ja, sogar sexuelle Fantasien sind bereits gesund. Man muss also noch nicht einmal unbedingt zur Tat schreiten, kann stattdessen die Augen schliessen, sich genüsslich zurücklehnen und erregenden Tagträumereien hingeben. Auch die Unterhaltung bzw. ein Flirt mit einer für den Mann ansprechenden Frau führt zu einer körperlichen Reaktion. Fantasie und Flirt produzieren im Gehirn verstärkt das sog. LH (luteinisierende Hormon), welches die Testosteronbildung im Hoden anregt.
Testosteron ist nicht nur ein Schlankmacher. Testosteron ist massgeblich am Aufbau von Muskeln beteiligt. Sex liefert nicht nur die für den Muskelaufbau benötigten Hormone, sondern natürlich auch den erforderlichen Muskelreiz in Form von rhythmischer Bewegung. Auch die alleinige Erektion ist gesund und wünschenswert. Denn jede Erektion bringt frisches Blut in die Schwellkörper. Der Penis wird steif. Häufiges Versteifen trainiert den Penis, wodurch die Erektionsfähigkeit immer weiter verbessert wird.
Auch Küssen kann man der Gesundheit zuliebe. Durch Küssen wird nämlich die Produktion von Speichel gefördert, welcher beispielsweise reich an Immunglobulinen vom Typ A ist. Hierbei handelt es sich um körpereigene Antikörper des Immunsystems, die viele Krankheitserreger bekämpfen. Speichelfluss führt auch zu schönen Zähnen. Die erhöhte Speichelproduktion hält ausserdem längere Zeit nach dem Küssen noch weiter an.
Gesundheitliche Vorteile hat Sex jedoch nur, wenn es sich nicht gerade um einen Sekundenakt handelt, sondern mindestens zwanzig Minuten lang dauert, da erst jetzt die Produktion des Botenstoffes Dopamin angeregt und auch spürbar wird. Dopamin bewirkt einen intensiven und anhaltenden Stressabbau, so dass Sex nicht umsonst zu den Massnahmen eines ganzheitlichen Stressmanagements zählt. Die Ausschüttung von Endorphinen nimmt ebenfalls mit der Dauer der sexuellen Betätigung zu. Hierbei handelt es sich um dem Opium ähnliche Substanzen, die nicht nur zu einem Glückgefühl führen, sondern auch Schmerzen vergessen machen, wobei sie besonders intensiv gegen Kopf- und Gelenkschmerzen zu wirken vermögen. Es ist also empfehlenswert, bei Kopfschmerzen Sex zu wollen, anstatt Kopfschmerzen als Ausrede zu nehmen, keinen Sex zu haben.
Sex verbessert die Prostata-Gesundheit. Die Samenflüssigkeit des Mannes wird zu etwa 30 Prozent in der Prostata (Vorsteherdrüse) erzeugt. Beim Erreichen des sexuellen Höhepunktes zieht sich die Wandmuskulatur der Prostata zusammen und die Samenflüssigkeit wird in die Harnröhre gepumpt. Wenn der Mann an einer Entzündung der Prostata (Prostatitis) leidet, fördert jede Ejakulation zusätzlich das Ausschwemmen infektiöser Keime aus den unteren Harn- und Spermawegen. Somit dient jeder Samenerguss der Reinigung der Prostata.
Last but not least ist Sex ein Schlafmittel. Verantwortlich dafür ist das Hormon Oxytocin. Es ermöglicht, nach dem Sex in einen tiefen Schlaf zu fallen.
Also lieber Paul, ein "Gesundheit" auf Euer Sexleben!
Herzlich - Veronika